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Brief vom 24. Juli 1876 (?) - Hoffenthal

Lieber Bruder Louis!
Deinen Brief vorn 13. März d.J. nebst Taufschein und Photographie habe ich richtig erhalten und ich danke Dir herzlich für Deine Mühe; ich habe auch bereits die Matrikelscheine für mich und meine Familie erhalten, aber gleichzeitig damit setzte mich der Konsul in Kenntnis, dass ich vom 1. Oktober 1875 an, mit einer Klassensteuer von 6 Mark jährlich belastet worden sei und den Steuerbetrag an die Steuereinnahme in Saalfeld einzusenden habe. Unter den Tausenden deutschen Reichsangehörigen, die in hiesiger Gegend leben bin ich vielleicht der Einzige, der noch der Heimat Steuer zahlen muss, ich habe hier Krons- und örtliche Abgaben gegen 100 Rubel Silber zu bezahlen und werde auch die verlangten 6 Mark bezahlen, wenn es das Gesetz verlangt; ich bitte Dich daher, lieber Bruder, Dich wo gehörig zu erkundigen, ob jeder im Ausland lebende Meininger einer Steuer in der Heimat unterworfen ist und wenn dies der Fall sein sollte, so bitte ich Dich, die 6 Mark für mich zu entrichten und mich zu benachrichtigen, ob bei Euch russische Kreditbillette von 10 oder 25 Rubel gangbar sind und zu welchem Kurse, ich würde Dir dann schicken, dass Du für mich auf mehrere Jahre vorausbezahlen könntest. Wenn Papiergeld nicht gangbar ist, bitte ich Dich mich zu benachrichtigen, was für ausländische Münzsorten gehen, am ersten würden hier noch halbimperiale oder 20-Frank-Stücke aufzutreiben sein, freilich beides auch rare Artikel, denn seit dem Krimkrieg hat man hier nur Papiergeld. Ich danke Dir auch für die mir übersanden 4 Photographien, und ich werde Dir jetzt nach und nach auch welche schicken, beifolgt einstweilen mein 2ter Sohn, er war vorigen Sommer in Geschäften in Simferopol und hat sich daselbst abnehmen lassen, hier sind auch zwei Photographen, wo sich meine Töchter haben abnehmen lassen, ich wollte Dir auch von diesen Photographien mitschicken, da wurde aber mit Händen und Füßen gewehrt, die hiesige Arbeit ist aber auch schauderhaft schlecht. Indes wird aber wohl rat werden, dass sie sich anderswo abnehmen lassen können. Gesund sind wir noch alle, die Geschäfte liegen aber noch gänzlich danieder, dazu haben wir wieder eine ganz schlechte Ernte, Weizen gib 3fällig, Roggen 4 bis 5, Gerste 6fällig; wir haben aber auch vom Frühjahr an keinen gehörigen Regen gehabt, nur einige Mal hat es den Staub gelöscht, überhaupt haben wir ein kurioses Wetter gehabt, im April hatten wir bis 30 Grad Hitze im Schatten, der Mai kühl, vom 9. auf den 10. Mai Schnee und 3 Grad Kälte, 20 Wersten von hier sogar 5 Grad, so dass alle Gartengewächse und sogar die Blätter von allen Bäumen abfroren, der Juni und Juli waren wieder heiß, wir haben schon lange Zeit bis jetzt täglich 30 Grad im Schatten, da hier die Tage im Sommer viel länger sind als bei Euch, so kühlt es sich auch des Nachts nicht ab. Sonst weiß ich Dir jetzt nichts zu schreiben, ich hoffe, dass Ihr noch alle gesund seid und wünschte nur, dass wer von Euch einmal hier her käme und unser Paradies in Augenschein nehmen möchte, jetzt wäre ein Feigenblatt zur Bedeckung hinreichend, im Winter freilich tun manchmal zwei Pelze übereinander genommen nicht genug.
Anbei übersende ich Dir das Schreiben des Konsuls bezüglich der Steuerzahlung und bitte Dich nochmals, recht bald Erkundigung einzuziehen, ob ich Steuerpflichtig bin oder nicht. Ich schließe nun, grüße Dich, Deine liebe Frau, den Bruder Karl und alle Geschwister und deren Familie von mir und den Meinigen vielmals und zeichne einer baldigen Antwort entgegensehend als Dein Dich liebender Bruder
Franz Huth