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Briefe von Franz Huth, der im 19. Jahrhundert von Pößneck, Thüringen, über Warschau, St. Petersburg nach Süd-Russland ausgewandert ist.

Abgeschrieben wurden die Briefe aus dem vorigen Jahrhundert von Eggert und Elisabeth Seeliger, geb. Schmidt. Elisabeth hat aus den allein zur Verfügung stehenden Photokopien die Briefe nach besten Kräften entziffert, Eggert hat sie getippt. Manche Textpassagen waren so stark verblasst, dass sie nicht mehr entzifferbar waren. Diese Stellen sind kenntlich gemacht. Die Schreibweise entspricht den Originalen, lediglich die Zeichensetzung wurde dort den heutigen Regeln angepasst, wo anderenfalls die Verstehbarkeit der Sätze beeinträchtigt gewesen wäre.
Köln, im Frühjahr 1994

Vorwort Taurien e.V.

Die Briefe und den oben stehenden Text erhielt unser Verein von Gerhard Walter, dafür bedanken wir uns an dieser Stelle noch einmal. Die Orthographie wurde von uns an die neue Rechtschreibung angepasst.


Brief vom 10. Januar 1843 - Warschau

Liebe Mutter und Geschwister!
Euer wertes Schreiben vom 28. Oktober vorigen Jahres habe ich richtig erhalten und mich herzlich gefreut, dass Ihr Euch alle wohlauf befindet, und so viel Erfreuliches von Euch zu hören, ich bringe hiermit meine herzliche Gratulation und wünsche somit dem Carl zu seinem jungen Prinzen, als auch dem Louis zu seiner Ehe und Eurem Geschäft viel Glück und Segen. Euer Brief, den ich bereits den 6. November erhielt, traf mich gerade noch bei guter Gesundheit an, allein schon einige Tage später bekam ich Brustbeklemmung, Kreuzschmerzen und Mattigkeit in allen Gliedern, so dass ich das Bett einige Tage hüten musste, und da es nicht besser wurde, mich genötigt sah, den 12. ins Spital zu gehen, da wurde aber nicht lange gefackelt, ich bekam sogleich 34 Schröpfköpfe und ein spanisch Filegenpflaster auf den Rücken und in die linke Seite und am Arm ließ man mir Ader, und dadurch wurde einer Lungenentzündung vorgegriffen; ich war zwar anfangs sehr matt, allein meiner guten Natur verdankte ich, dass ich den 28. desselben Monats das Spital wieder verlassen konnte, und jetzt bereits wieder ganz gesund und wohlauf bin. Diese Krankheit war wahrscheinlich die Folge anstrengender Arbeit, denn bei uns werden meistens sehr starke Taue, zu Kriegsschiffbrücken (nicht sicher leserlich) und in die Salzsteinbergwerke gemacht. Galotaphski, den ich ehe ich noch Eure Briefe erhielt, zufällig traf, ist ungefähr 14 Tage später als ich nach Warschau gekommen und hat seit dieser Zeit, obgleich in 3 Werkstellen noch nicht volle 3 Wochen gearbeitet, seine Eltern haben ihm schon zweimal Geld geschickt und danach ist er schon in der grässlichsten Not gewesen und vieles von seinen Sachen verkaufen müssen. Seit den Feiertagen ist er wieder in Arbeit und hat eine gute Stelle, er entbietet viele Grüße an seine Eltern.
Ich habe mich jetzt wieder ziemlich herausgerissen, denn auf meiner Reise war ich ziemlich abgerissen, einen tüchtigen Pelz habe ich mir gekauft. Der Winter ist zwar sehr gelinde, denn nur ungefähr 6 Wochen vor Weihnachten hatten wir hier einige Tage 10 Grad Kälte. Nachdem ist es aber immer neblig und warm gewesen bis zum Neujahr, wo bei starken Stürmen viel Schnee fiel und seitdem Schlittenbahn ist, aber die Kalte wird sich wohl noch einfinden, denn im Lande Polen ist es viel kalter als in Deutschland. Solange ich hier Arbeit habe, werde ich hier bleiben, dann aber jedenfalls nach Riga und Petersburg, und wenn ich die Mittel dazu besitze, später auch nach Stockholm gehen, vielleicht ist im Norden von Europa ein Plätzchen für mich bestimmt. Der Carl schreibt mir, die Friederike ist krank gewesen, was mich sehr dauert. Aber schreibt mir doch, ob sie verheiratet ist oder nicht, ich habe ja noch nichts von Hochzeit gehört. Hat denn der Ollo Göbel nichts von sich hören lassen und ist denn der Heinerkes Albert noch in Altenburg? Wenn Ihr mir wieder schreibt, so schreibt mir doch recht viele Neuigkeiten. Das liebste aber ist mir, was ich zu hören wünsche, dass es Euch allen recht wohl ergeht. Diesen Brief, den Ihr von Altenburg aus mit der Post erhalten werdet, bringe ich drauf mit Gelegenheit, durch einen Stubengesellen von mir namens Hermann Kerst aus Gieba bei Altenburg, welcher hier in Warschau Meister werden will, nicht aber Daheim. Da sich oben genannter Hermann Kerst nur einige Wochen in seiner Heimat aufhalten will, um dann wieder nach Warschau zurückzukehren, so habe ich mich mit ihm besprochen, im Falle Ihr mir gleich wieder antworten wollt, Ihr den Brief an den Seilergesellen Hermann Kerst per Adr. Herrn Böttchermeister Müller auf der Tiefgasse in Altenburg adressieren könnt, wo er an selbigen gelangen wird und mir dieser ihn mit hierher bringen wird. Nur muss ich Euch bitten, dass Ihr ihn nicht versiegelt, denn außer mit der Post darf kein versiegelter Brief befördert werden. Abschließend erbitte - ich mir noch viele Grüße an alle Schwager und Schwägerinnen, Verwandte und gute Freunde und verbleibe in der Hoffnung, dass Ihr alle das neue Jahr gesund und wohl antreten und auch ebenso beschließen werdet.
Euer Euch liebender Sohn und Bruder
Franz Huth, derweilen Altgesell
der Seilerbruderschaft in Warschau


Brief vom 13. Juli 1846 - Tokmak

Vielgeliebte Mutter und Geschwister!
Lange schon werdet Ihr vergeblich von mir auf Nachricht gewartet haben, und wahr ist es, ich hatte Euch schon lange schreiben können, ich muss mir darüber jetzt selbst Vorwürfe machen, allein es ging mir fast wie Dir, lieber Bruder, mit Deinem vorigen Briefe, ich wollte auch immer noch mehrere Neuigkeiten zusammenkommen lassen, und so verzog es sich von einer Zeit zur anderen. Wenn Euch dieser Brief insgesamt gesund und wohl antrifft, so werde ich mich auch darüber beruhigen. Zuerst liebe Mutter und Geschwister muss ich Euch benachrichtigen, dass am vergangenen Freitag, als den 5. April, morgens meine Frau von einem gesunden und schönen Knaben glücklich entbunden wurde, welcher am Himmelfahrtstag darauf in der Kirche zu Prischib die heilige Taufe mit derselben die Namen Carl Robert erhielt. Gestern war er schon 14 Wochen alt, er ist fromm und gut, dabei dick und fett; von wegen dem tüchtigen Jungen, wie Du mir lieber Bruder in Deinem ersten Briefe schreibst, kann ich mir nun auch dicktun.
Auch muss ich Euch benachrichtigen, dass wir hier vergangenes Jahr eine gänzliche Missernte hatten. Gleich in der Ernte stieg der Getreidepreis um 2/3 und behielt den Preis bis jetzt ziemlich bei. Dies hatte den Handwerkern hier nichts gemacht, der Preis war noch nicht so hoch als bei Euch in der wohlfeilsten Zeit, allein mit der Missernte trat auch zugleich ein gänzliches Stocken in allen Fächern ein, welches leicht erklärbar ist, weil hier alles von den Bauern lebt. Dieses ganze Frühjahr nun hatten wir hier die herrlichsten Aussichten zu einer recht segensreichen Ernte. Der Regen, an dem es hier so sehr oft fehlt u. den der hiesige Boden so viel braucht, stellte sich zur gehörigen Zeit ein und schon reifte das Getreide der mühenden Sense entgegen, als sich hier ein allgemeiner Schrecken verbreitete. Nämlich in der geringen Entfernung von 50 Werst (Meilen) fanden sich große Heuschreckenzüge ein, und unsere lieben Deutschen hier, die schon ausgiebig die Gefräßigkeit dieser ungebetenen Gäste kennen, hegten daher nicht umsonst bange Besorgnisse. Gott verschonte uns diesmal von dieser Landplage; die Tiere nahmen ihren Marsch in andere Gegenden, und jetzt ist nichts mehr zu befürchten, denn alles Getreide, etwas Weizen (folgt unleserliches Wort) steht schon in Haufen, und einer besseren Ernte wissen sich die Deutschen hier nicht zu erinnern als die diesjährige ist. Um Euch einen Begriff von der Menge der Heuschrecken, die zu Zeiten einfallen, zu machen, muss ich bemerken, dass nach Aussage hiesiger Männer, bei Ankunft solcher die Luft sich verdunkelt, dass die Sonne am Himmel nicht mehr zu sehen ist. Seit die Deutschen hier wohnen, wurde einmal die hiesige Gegend 7 Jahre hinter einander, ein Jahr mehr, das andere weniger, von diesen Tieren heimgesucht, wobei sie aber ein Jahr alles mit Strunk und Stiel auffraßen. Vor vier Jahren fiel die etwas kleinere und weniger gefräßige Sorte hier ein. Zur Vertilgung mussten auf obrigkeitliche Verordnung jede zum Tokmaker Gebiet gehörige kopfsteuerpflichtige Seele - unleserlich - (114 Scheffel) liefern. Tokmak mit seinen Kuttern (Vorwerken), welche auch so groß als unsere Dörfer sind, zählt 18000 Seelen.
Die Kolonisten hingegen suchten sie auf ihrem Gebiet mit einer großen Walze zu vertilgen Auf vielen Stellen sollen sie eine halbe Elle hoch gelegen haben.
Vergangenen Winter starben hier in Tokmak 500 erwachsene Menschen an einer nur den gemeinen Russen eigentümlichen Krankheit, und gegen 900 Kinder an den natürlichen Plattem. Das Impfen, welches kaiserliches Gesetz ist, wird nur wenig befolgt. Auf Forderung von der Regierung zu folgen haben sich 300 Bauern gemeldet, welche Tokmak verlassen wollten, um sich am Kaukasus anzusiedeln. Wie es heißt, soll das Kreisgericht von Berdjansk hierher verlegt werden und Tokmak zur Kreisstadt erhoben werden. Tokmak hat einen schönen Marktplatz und es ziehen sich, seiner vortrefflichen Lage in Mitten der deutschen Kolonien wegen, immer mehr Kaufleute hierher.
Der Friedebacher Seiler, von dem Du mir, lieber Bruder, schreibst, hat hier noch nicht von sich hören lassen. Vielleicht hat er unterwegs ein Plätzchen gefunden, wo er bleiben will. Indes hat sich ein anderer, ein Alt-Preuß, hier eingefunden. Auch mein Reisekollege in Brückenau hat seinen Plan, nach Hause zu reisen, aufgegeben und bleibt nun hier; ist aber noch nicht verheiratet. Den in Deinen Briefen erwähnten Schneider Schönheit habe ich in seiner Tür stehen sehen, ohne seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Ich wusste, dass es ein naher Landsmann war, allein solche Leute werden in Moskau viel von Stromern, die sich in Russland genug herumtreiben, belästigt, und um nicht als ein solcher zu erscheinen, blieb ich davon. Den einen von seinen Bruders Söhnen, welcher lange Zeit Zuschneider bei ihm war, habe ich besucht.
Herzlich freute ich mich über das Glück unseres Bruders Louis und wünschte nur, jedes meiner Geschwister möchte einen so sorgsamen Großvater haben wie der Louis.
Lieber Bruder, wenn Du mir wieder schreibst, schreibe mir doch die Umstände der Geschwister Herrmann, Albert, Theodor und Gustav Heinerke. Ist der Herrmann noch nicht verheiratet, wo steckt der Albert; grüße sie insgesamt aufs freundschaftlichste von mir.
Wie geht’s mit Gerhards, lebt die alte Rothen noch. Gerhard seine Mädchen werden bald groß sein. Herzlich wünschte ich, einmal bei Euch sein zu können, aber darauf muss ich noch verzichten, obgleich ich die Hoffnung nicht ganz aufgebe. Schreibe, wenn Du mir wieder schreibst, viele Neuigkeiten. Nun, lieber Bruder, eine Bitte, da, wie es heißt, jeder in Russland sich aufhaltender Ausländer mit einem Heimatschein versehen sein soll, so ersuche ich Euch, lieben Brüder, wenn es Euch nicht zu viele Umstände macht, auch keine Geldkosten verursachen sollte, mir einen Heimat- oder Schutzschein auszuwirken und ihn mir im nächsten Brief mitzuschicken. Sollte das Euch aber viele Umstände oder Geldkosten verursachen, so bemüht Euch nicht. Schreibt mir bald wieder, ich werde mich dann selbst schriftlich an den Herzog wenden und ihn mir erbitten. Nun lieber Bruder Carl, bevor ich schließe, noch etwas, was mir lange schon auf dem Herzen liegt: Schreibe mir doch recht getreu, in welchen Umständen lebt die gute Mutter? Wohnt sie noch für sich oder ist sie bei einem von Euch? Leidet sie vielleicht auch an etwas Mangel? Du wirst mir diese Fragen verzeihen, lieber Bruder, Tränen rollen mir bei diesem Gedanken über die Wangen, doch Eure gute Sinnesart wird es nicht zulassen. Längst schon wäre es für mich Zeit, etwas für die Mutter zu tun, allein (nach dem) Verheiraten fehlte noch so viel in der Wirtschaft, woran ich früher nicht dachte, dass ich noch nicht fertig wurde mit Anschaffen und kam noch das schlechte Jahr. Doch jetzt ist hier schon wieder ein regeres Leben und mit Gottes Hütte wird noch alles besser werden.
In der Hoffnung, dass Euch dieser Brief alle im besten Wohlergehen antrifft, verbleibe ich und meine Frau, alle Schwäger und Schwägerinnen, Verwandte und Freunde vielmals grüßend Euer Euch liebender Sohn und Bruder Franz Huth und Schwiegertochter und Schwägerin Elisabeth. Besonderen Gruß an Schwägerin Katharina.
F. Huth
Meine Adresse bleibt wie früher nur die Worte „dem Kronsdorfe“ bitte ich wegzulassen.


Brief vom 4. Juni 1847 d. St. - Tokmak

Vielgeliebte Geschwister!
Eure Briefe vom 1. Mai erhielt ich gestern Abend als den 3. Juni, groß war mein Schreck, als ich das schwarze Siegel erblickte, mir ahnte gleich was vorgefallen war, mit herzlichem Bedauern vernahm ich, welch unersetzlichen Verlust wir durch den Tod unserer Vielgeliebten Mutter erlitten. Zwar ist sie nun allen Erdensorgen enthoben und ruhet sanft in Gott, allein für uns Hinterlassene ist es schwer, sich in einen solchen Verlust zu fügen, doch wollen wir auch Gott danken, dass er sie ohne schmerzliches Krankenlager und sanft von dieser Welt abrief.
Lieber Bruder, herzlich gern hatte ich Dir gleich auf Deinen Brief vom 2. Dezember, weichen ich gerade an Weihnachtsheiligabend erhielt, geantwortet, allein es lag mehr an den Umständen als an mir, dass dies nicht geschah. Ich ersah nicht nur aus Deinem Briefe, sondern las auch in der Zeitung, welche Not Deutschland und andere Länder drückte, ich nahm mir daher vor, der Mutter eine Unterstützung zu schicken. Da ich mir aber vorigen Herbst der teuren Miete wegen (ich zahlte 90 Rubel aufs Jahr) ein Haus, welches ebenso gut ist als das, welches ich zur Miete bewohnte, für 250 Rubel kaufte, machte ich mich nicht nur ganz blank, sondern musste zu meinem Geschäft auch noch etwas Geld aufnehmen, denn der vorjährigen Missernte wegen, war das Verdienst äußerst schlecht. Vergangenes Jahr hatten wir hier eine überaus segensreiche Ernte, und es gab gleich wieder ein reges Leben. Ich beabsichtigte daher in Kürze etwas zu ersparen, um es der Mutter zu schicken, da wurde mir von der Gemeinde Alt-Nassau der Schuldienst daselbst angetragen. Ich hatte anfangs nicht Lust ihn anzunehmen, doch aber auf vieles Zureden von Seiten unseres Pastors, mit dem ich gut bekannt bin, entschloss ich mich dazu, konnte jedoch aber wegen der Frühjahrs-Überschwemmung und später wegen allzu schlechter Wege nicht sobald Kontrakt mit der Gemeinde Alt-Nassau schließen. Die Gemeinde hat sich nämlich einen Schullehrer zu wählen und zuzusehen, wie sie mit den Bedingungen des Lehrers fertig wird, und der Pastor gibt seine Bestätigung dazu, und so vergingen wieder einige Wochen. Ich wollte Euch doch auch von allem recht ausführlich Mitteilung machen. Als ich nun mit allem zustande war, und es ans Schreiben gehen sollte, wurde ich plötzlich krank, und meine Krankheit verschlimmerte sich so, dass ich am 30. Tage morgens völlig hinstarb, das Bewusstsein verlor sich, der Atem blieb aus, alle Glieder verkrampften sich und ich wurde steif, der kalte Schweiß rann mir in großen Tropfen von der Stirn. Dieser Zustand soll eine halbe Stunde gedauert haben, dann kehrten die Lebenskräfte allmählich wieder zurück. Der herbei geholte Arzt schlug mir gleich Ader, aber es kam kein Blut. Bei der zweiten ging es ebenso, nur nach vielem Erwärmen gelang es dem Arzt nach einigen Stunden beim 3. Aderlass, dass das Blut floss. Es wurde mir dadurch etwas leichter, ich lag jedoch noch 14 Tage in halbem Unbewusstsein, ich litt an der Lungenentzündung, welche mit Fieber verbunden war. Zuletzt bekam ich das Fieber noch einmal recht herzhaft und meine Krankheit war gehoben. Da ich aber die ganze Zeit meiner Krankheit gar nichts gegessen hatte, war ich so schwach, dass ich noch mehrere Tage das Bett hüten und dann noch beinahe 14 Tage so herumschleichen musste. All mein Vorrat an Waren war mir während dieser Zeit ausgegangen. Ich machte mich den Tag vor Himmelfahrt das erste Mal wieder an die Arbeit. Es war ein schöner warmer Tag, einige Tage vorher hatte ich mir den Schnupfen zugezogen, gegen Mittag kam mit einem Mal ein starker echt sibirischer Wind begleitet mit Hagelwetter, mich überfuhr ein kalter Schauer, mein Schnupfen war auf der Stelle weg, und mir lag es gleich in allen Gliedern, dass ich kaum noch bis in die Stube gehen konnte. Ich trank sogleich Holundertee und schwitzte tüchtig, allein es half nichts, ich bekam den anderen Tag das kalte Fieber. Anfangs hatte ich es immer einen Tag um den anderen, jetzt bekomme ich es alle Tage, und so stark, da ich es immer gleich des Morgens bekomme, ich bis abends 3 bis 6 Uhr liegen muss. Gestern Abend, es war der Fronleichnamstag, war ich soeben aufgestanden, als ich Deinen Brief und die Todesnachricht der Mutter erhielt. Der Schreck hatte mich bald wieder zum Liegen gebracht. Das Fieber ist hier allgemein. Es ist keine sehr lebensgefährliche Krankheit, aber sie schwächt Geist und Körper fürchterlich. Man hat Falle, dass sich Leute 2 Jahre damit herumschlagen mussten.
Nun liebe Geschwister, etwas von meinem Schuldienst Den 1. September muss ich in Alt-Nassau einziehen. Alt-Nassau ist eines der ersten Dörfer. Es liegt von hier 100 Wersten, und von Prischib, wo die Kirche und das Gebietsamt sind und wo jährlich drei Mal Jahrmarkt gehalten wird, nur 2 Wersten. Ich habe 80 Kinder, Groß und Klein, 4 bis 5 Monate im Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen zu unterrichten, dabei habe ich die Schulzenschreiberei mit zu versehen, jahraus, jahrein Sonntags Kinderlehre, Leichenpredigen und im Winter bei sehr schlechter Witterung auch Gottesdienst zu halten. Die Länge der Schulzeit richtet sich nach dem Wetter. Anfangs Oktober beginnt die Schule und dauert bis Frühjahr schönes Wetter wird, bis die Schafe können ausgetrieben werden und bis der Bauer pflügen kann, dann braucht er seine Jungen selber. Den Sommer kann ich meine Seilerei dabei treiben. Ich bekomme an Gehalt 200 Rubel, ferner von jedem Wirt 3 Maaß Getreide, (ein Maaß ist so viel wie 1/4 Scheffel, und 59 Wirt sind) nämlich 1 Maaß Weizen, 1 M. Korn und 1 M. Gerste, eine schöne Wohnung mit 2 großen Zimmern und Kammer im Schulhause, frei Feuerung, Heu für paar Kühe durchzuwintern, und noch einen sehr großen ganz mit tragbaren Obstbäumen bepflanzten Garten am Schulhause zur Nutznießung. Seit einigen Wochen habe ich einen Gesellen, einen Sturkater. Ein Glück für mich, da ich jetzt so nicht einen Schlag arbeiten kann. Er hat Lust, sich hier zu etablieren, er hat schon zuhause geschrieben an seine Vormünder, sie sollen ihm die Hälfte seines Vermögens schicken, (wie er angibt hat er 4000 auf Zinsen). Wenn er Geld hereinbekommt, wird er mir ein Haus abkaufen und die Seilerei hier gleich fortsetzen; die Getreideausfuhr von hier nach England und Frankreich überstieg dieses Jahr alle Grenzen. Nach der Ernte kostete hier der Tschetwert (2 Scheffel) Weizen 14 Rubel, etwas über 4 preuß. Thaler, das Korn kostete 6 Rubel, Gerste 6, jetzt sind die Preise wieder etwas gesunken, die diesjährige Aussicht auf eine gute Ernte kann nicht besser sein als sie jetzt ist.
Von wegen der Teilung, lieber Bruder, könnt Ihr es halten wie Ihr wollt, ich mache nicht im geringsten Ansprüche auf irgendetwas, und verzichte gänzlich auf meinen Teil, ich werde noch eigens ein paar Zeilen einlegen, damit Ihr den H.E. Assessor es herzeigen könnt. Meine silbernen Löffel, lieber Bruder, kannst Du zu Dir nehmen, es können Fälle kommen, wo ich Euch mal Unkosten machen müsste welche dann mit den Löffeln könnten gedeckt werden. Die Agnes schrieb mir, dass sie Lust hat hierher zu reisen. Eine anständige Versorgung würde sich wohl finden, aber auf weiche Art würde sie als Frauenzimmer diese weite Reise machen. Zwar fahren alle Jahr Mennoniten von hier zum Besuch nach Preußen, erst diese Woche sind 3 Wagens wieder abgefahren, diese halten sich zwar einige Monate in der Niederung bei Elbing in Ostpreußen auf, da könnte sie sehr gut mit hereinkommen, aber die Zeit würde ihr doch zu kurz werden, ich werde nächstens nach Leipzig schreiben und Ihr mit allem bekanntmachen.
Nun liebe Geschwister muss ich schließen, in der Hoffnung, dass Ihr Euch recht einig in das bisschen Hinterlassenschaft teilen mögt, verbleibe ich Euer Euch stets liebender Bruder
Franz Huth
N.B.
Von 1. September an ist meine Adresse
F. Huth
Schullehrer in der Kolonie Alt-Nassau bei Melitopol
in Gouvernement Taurien in Südrussland.
(adressiert an:
Herrn Carl Huth, Porzellanmaler
in Pößneck im Herzogtum Sachsen-Meiningen)


Brief vom 4./15. Februar 1851 - Alt-Nassau

Vielgeliebte Geschwister!
Ihr werdet wohl schon sehr besorgt um mich gewesen sein, oder gar eine schlechte Meinung von mir gefasst haben, weil ich Euch so lange auf Antwort habe warten lassen, denke, dass Bruder Carl hoffte schon zu Ostern auf Antwort und jetzt ist schon Weinachten vorbei und ich habe immer noch nicht geschrieben, die Umstande waren folgende:
Meine Frau sah ihrer Niederkunft entgegen, diese wollte ich vor meinem Schreiben erst noch abwarten, damit ich Euch gleich von dem Segen, der mir zuteilt würde, in Kenntnis setzen könnte, dieses verzog sich nun freilich noch bis zum 17. Juni, wo wir mit einer jungen Tochter gesegnet wurden, welche in der Taufe die Namen Florentine Albine erhielt, nun sollte es frisch ans Werk gehen, da wurde in dem hiesigen Reiche eine neue Revision (Volkszahlung) aufgenommen, und ich als Dorfschreiber hatte alle Hände voll zu tun, und mein Briefschreiben wurde hintangesetzt; so verging wieder eine geraume Zeit, dann wurde ich infolge einer Erhitzung krank. Dies war Mitte August, ich hatte das Fieber, ebenso lag auch die Magd danieder, und meine Frau und die Kinder hatten so schlimme Augen, dass sie eine Zeitlang ganz blind waren, diese schlimmen Augen grassierten hier sehr und waren wahrscheinlich die Folge allzu trockener Luft, alles erholte sich wieder, die Magd genas, dann die Kinder und meine Frau, nur ich lag bis im Herbst, bis zum Oktober, und hatte fast den ganzen Winter zu tun, ehe ich mich wieder recht erholte; jetzt bin ich so !eidlich gesund und mit dem herannahenden Frühling wird es noch besser werden, daher konnte ich nun auch nicht langer verziehen, um Euch hiervon zu benachrichtigen, im Übrigen geht es immer noch gut bei uns trotzdem drei hier aufeinanderfolgten Missernten, wo alles teuer, das Geld knapp ist und alle Geschäfte stocken. Mein Dienst sicherte mich bisher vor jeden Mangel, ich bekomme Getreide im Überfluss, ich habe jedes Jahr noch für 60 Rubel verkauft, ich habe 3 Kühe, da gibt es Milch und Butter genug, Schweine im Herbst zum Schlachten ziehe ich jedes Jahr selbst auf, Hühner habe ich ebenfalls etliche 30 Stück über Winter, nur für Kleider, Kaffee, Zucker und sonstige Luxusartikel habe ich Ausgaben, meinem Reisekollegen, dem Seiler Moritz Lohse welcher hier in der Nahe ebenfalls verheiratet ist, aber nur auf seine Seilerei angewiesen ist, geht es wie vielen anderen nicht zum Besten, ich habe ihn schon von Zeit her mit Getreide und Mehl unterstützt, aber ganz unterhalten kann ich ihn auch nicht, wenn man hier so sparsam zu leben gewohnt wäre wie bei Euch, so könnte man hier manches ersparen. Ihr werdet Euch wohl wundem, wenn ich Euch schreibe, dass ich mit meiner kleinen Familie zwei große fette Schweine, die in der Mastzeit wenigstens noch zehn Sächsische Scheffel Gerste fressen, eine fette Kuh, alle Butter, Käse und Milch von drei Kühen, dazu noch einige hundert wilde Enten und Schneppen und 25 bis 30 Hasen, dazu noch eine Menge Hechte, Barsche und Bleien, welches Wild und Fisch, ich alles selbst erlege und fange, das Jahr hindurch gehörig verbrauche.
Verwundere mich sehr, dass der Carl schon fünf Kinder hat, ebenso dass der Bernhard so ein großer Kerl geworden ist, ich meinte, es könnte beides nicht sein, aber wenn ich meine Familie betrachte, so zahle ich auch schon drei Kinder, und zwar der Älteste, Robert ist 5 Jahre alt, die Zweite, Emilie, 3 Jahre, und die Jüngste, Albine, dreiviertel Jahr alt, meine Kinder sind jetzt alle drei recht gesund und wenn Ihr sie sehen solltet, Ihr würdet sie als rechte Huth-Gesichter erkennen; freuen würde mich sehr, wenn mich eines meiner Geschwister einmal besuchen würde, was wohl dem Bernhard am ehesten sein würde; da meine Familie immer stärker wird, so werde ich wohl auf einen Besuch bei Euch verzichten müssen, bis. meine Kinder einmal groß sein werden.
Herzlich hat es, mich gefreut, dass sich außer meinen Angehörigen in der Heimat auch noch andere Leute für mich interessieren, und vor allen anderen bitte ich den Hr. Etzdorf, Hr. Roth, Familie Zantner, Adolph Haupt und andere herzlich von mir zu grüßen.
Die Reisebeschreibung von Südrussland, die Hr. Etzdorf dem Carl brachte, wird wohl die "Kohl'sche" sein, welche mir auch zu Händen gekommen ist, sie beschreibt die Odessaer Gegend und Kolonien und hat manches mit der hiesigen Gegend und Kolonien gemein, manches auch verschieden, so ist der Hauserbau wohl besser als in den Dörfern in Sachsen, erstlich sind die Kolonien regelmäßig angelegt, jede Kolonie bildet eine breite Gasse, auf beiden Seiten alle 15, in manchen Kolonien alle 20 Faden auseinanderstehen die Hauser, welche früher in den ersten Jahren in Ermangelung von Ziegelbrennereien von Luftziegel aufgeführt und mit Stroh gedeckt wurden, jetzt die Hauser, alle von gebrannten Ziegel, auf ein 1 1/2 bis 2 Fuß oberhalb der Erde stehendes Fundament von schön bearbeiteten Quadratsteinen, welche ungefähr 70 bis 80 Wersten von hier gebrochen werden und dauerhafte kalksteinartige Steine sind, gebaut und meistenteils mit Dachpfannen gedeckt; Privathäuser stehen meistenteils mit der Giebelseite nach der Straße, Gemeindehäuser, als Schulen und dergleichen, alle mit der Fronte nach vorne.
Anbei schicke ich Euch die Ansicht des hiesigen Schulhauses und somit meiner Wohnung (Nr. 1). Das Haus steht von Südwest nach Nordost, der rechte Flügel bildet die Schulstube mit 9 Fenster am Giebel, auf beiden Frontseiten 13 Fenster, der linke Flügel bildet vorne nach der Straße die große Wohnstube, nach hinten Kammer und kleine Stube. Das Haus wurde 1847 von gebrannten Ziegeln neu erbaut, und ist eine recht freundliche Schule und Wohnung, die innere Einrichtung der Schulstube ist so wie bei Euch in der neuen Schule. Nr. 2 stellt ein wirtschaftliches Gebäude und Stall und Scheune dar, und Ihr werdet finden, dass die Bauart hier so schlecht nicht ist. Vor den Häusern nach der Straße ist überall ein Blumengärtchen, dieses regelmäßig von einem Ende zum anderen Ende des Dorfes und so auf beiden Seiten mit Staket- oder Bretterzaun eingezäunt; die Straße (führt) also durch einen langen Blumengarten, diese und manche andere Einrichtung konnte nur geschehen, weil die Kolonisten unter der Aufsicht eines Fürsorge-Komitees stehen, deren Befehle sie genau erfüllen und von allem Rechenschaft ablegen müssen, jeder Wirth hat hier 60 Desjatinen (Morgen) Land. Reizend ist die hiesige Gegend wie alle Steppengegenden freilich nicht zu nennen, doch ist sie vielleicht die reizendste aller Steppengegenden. Die Molotschna durchzieht die Fluren und bewässert die Wiesen, Garten und Waldanlagen, von den Kolonisten angelegt,- erheben sich allenthalben und bieten einen imposanten Anblick dar; das benötigte Bauholz holt man am Flüsse Dnjepr und kommt auf (unleserlich).
Zum Heizen hat man Stroh und Mist, nämlich Schaaf- oder Kuhmist. Derselbe wird ... (mehrere Worte unleserlich) und gut durchgetreten, in Form eines Quadrat-Fußes ausgestochen, und getrocknet und liefert ein besseres Heizzeug als bei Euch die Loh-Kuchen. Das Land braucht man hier nicht zu düngen, es trägt (mehrere Worte unleserlich); aber der Regen darf nicht fehlen, und dies geschieht nur zu häufig, besonders war dies in diesem Jahr der Fall, im Sommer versengt zuweilen ein brühheiser Wind alles was grünt, und im Winter macht ein scharfer Nord- oder Ostwind die Kälte fast unerträglich, Schnee fällt hier wenig und der fällt (hier fehlt etwas) fegt der Wind, so dass hier selten einige Tage Schlittenbahn ist.
Ich muss nun hiervon abbrechen, denn der (Brief-)Bogen geht zu Ende, ich wollte gerne ein Briefchen an Ollo Göbel beilegen, da ich aber diese Ansichten der Gebäude beigelegt habe, so fürchte ich, ich muss doppeltes Porto zahlen, also werde ich es verschieben bis auf das nächste Mal, welches - wie ich hoffe - nicht lange dauern wird, denn sobald ich einen Brief von Euch erhalte, werde ich ihn gleich beantworten. Grüßt den Olle vielmal und sagt ihm, dass ich das nächste Mal ein Briefchen von ihm erwarte. Grüßt auch alle Verwandte, Freunde und Bekannte von mir, besonders auch den Hr. Gerhard und schreibt doch recht bald recht viele Neuigkeiten, besonders viel von meinen Bekannten und was besonders unserer Familie geschieht, ob sich die Agnes noch nicht verheiratet hat und dgl. Schickt mir doch auch ausführliches Rezept, wie man die Fische bei Euch siedet, hier werden sie gebraten oder gekocht. Derlei schmeckt mir aber nicht so gut wie die gesottenen.
Ich muss schließen und unter vielen herzlichen Grüßen an Euch alle von mir, meiner Frau und Kinder verbleibe ich
Euer Euch liebender Bruder und Schwager
F. Huth
Adresse ist dieselbe wie bisher: Kolonie Alt-Nassau    4./15.Februar 1851


Brief vom 24. Januar 15. Februar 1852 - Alt-Nassau

Vielgeliebte Geschwister!
Euern lieben Brief vom 27. Juli 1851 erhielt ich am 16. 128. August und habe mich sehr gefreut über die vielen Neuigkeiten mit denen Ihr mich bekanntmachtet, insbesondere aber dass Ihr alle wohlauf seid und (es) allen so ziemlich wohl geht, sowie auch über die beigelegten Schreiben von Kaffenberger und Carl Zerenner. Ich befinde mich mit meiner Emilie Gott sei Dank jetzt auch gesund und wohl, welches Glück ich jetzt sehr zu schützen weis. Über die Schwester Friedericke habe ich mich sehr verwundert, nämlich dass dieselbe schon zwei Männer gehabt hat und vielleicht jetzt schon den dritten hat, und über die Agnes, dass die noch gar keinen gefunden hat; wenn das Reisen in Russland durch Eisenbahnen so leicht wäre wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern, so wünschte ich nichts sehnlicher, als die Agnes käme hierher zu mir. Schreibt mir doch, wann der Bernhard vom Militär frei ist, von dann an werde ich ihn jede Woche erwarten, und der Tag seiner Ankunft hier soll für mich und meine Familie einer der großen Freudentage meines Lebens sein. Dass er die Freude, mich zu besuchen machen wird, traue ich ihm fest zu; sollte er es aber unterlassen, so würde die Enttäuschung sehr bitter sein; daher redet ihm nur alle zu, dass er seinen Vorsatz nicht lange aufschiebt, sondern so bald als möglich ausführt! Das Rezept zum Fischsieden hat sich als probat befunden, und oft haben wir Euer freundlich gedacht, wenn wir uns an gesottenen Fischen labten und jedes Mal Euch als unsere Gäste gewünscht. Da ich gerade bei Rezepten verweile und die Fastnacht herannaht, so bitte ich Euch noch um ein Rezept zum Krapfen backen; dass dieselben in Butter oder Fett gekocht werden, weiß ich, aber die übrige Zubereitung ist uns unbekannt. Ich habe mich sehr gewundert dass so viele mir bekannte Personen in der Heimat nacheinander weggestorben sind, andere mir bekannten Personen werden nacheinander wegsterben, und eine andere Generation heranwachsen, und sollte mir einmal das Glück zuteilt werden, die Heimat wiederzusehen, so werde ich niemand mehr kennen. Auch hier war diesen Winter alles krank, die Masern grassierte hier so, dass alle Kinder davon befallen waren und viele starben. In meiner Familie hat sie jedoch jetzt keines gehabt, aber im Sommer waren sie schon in einigen Häusern hier, und auch meine Frau und alle drei Kinder bekamen sie, und obgleich sie sehr bösartig waren, ist mir doch niemand gestorben. Was machen denn meine alten Bekannten, ist Carl Lohmann schon wieder verheiratet? Was macht Albert Heinerke, Leonhard Müller und wie geht es bei Gerhards, lebt er gut mit seiner Frau? Ich hoffte immer, einmal einige Zeilen von ihm zu erhalten, wenn der Bernhard nur erst möchte hierher kommen, der könnte mir über so vieles Auskunft geben. Sehr gefreut hat es mich, dass Euch Kaffenberger besucht hat, derselbe hat sich, als ich noch in Tokmak wohnte, lange bei mir aufgehalten, es ist ein alter ehrlicher und treuer Mensch, ein Glücksritter, der sein Ziel nicht finden kann. Wenn er jetzt hier wäre, könnte er mir in meiner großen Schule von 124 Kindern rechte Hilfe leisten. Ich habe wieder mit meiner Gemeinde auf ein Jahr Kontrakt gemacht und 65 Rubel nebst ein schönes Stück Kraut und Kartoffelland Zulage erhalten. Wie mir Carl Zerenner schreibt, hat er auch wieder Aussicht, nach Russland zu kommen. Der Schmetterling fliegt nach Russland, holt sich in einigen Jahren eine Portion goldene Gurken, wovon er dann in Deutschland wieder lange zu zehren hat, der hat ein gutes Los getroffen. Wo ist denn der Robert und was macht er? Von dem erwähnt ihr so wenig, dass ich bald glauben muss, dass er nicht sehr mit seinen Geschwistern harmoniert, auch mir hat er noch keinen Buchstaben zukommen lassen, ist vielleicht sein Betragen nicht anständig? Sollte dies der Fall sein, so wünschte ich ihn unter meine Zuchtrute, trotz seiner Größe und Alters.
Vorigen Sommer war der Hof-General-Superintendent Dr. und Ritter von Flittner aus Petersburg hier und hat Kirchen und Schulvisitation gehalten, alles ging ganz gut ab (? - schlecht leserlich). In Zeitung habe ich gelesen, dass dieser Winter in Deutschland so sehr hart ist und besonders viel Schnee gefallen ist, wir hatten bis Mitte Januar wenig Frost (? - schlecht leserlich) und Schnee; als drauf fing es an zu schneien und wurde tüchtig kalt, wir hatten bis zu 18 bis 20 Grad Kalte. Dann ging der Schnee wieder weg, und jetzt haben wir Frühjahrswetter, nach Alt-Russland zu, d.h. nach Charkow und Moskau hin, soll fürchterlich viel Schnee und große Kälte sein.
So ganz abgeschieden leben wir hier nicht, ich hatte und lese den „Lithauer“, ein Rigaisches Zeitungsblatt, welches uns von allem, was in der großen Welt geschieht, in Kenntnis setzt, viele lesen hier auch den „Dorfbarbier“ (aus Grimma in Sachsen), und manches andere Blatt kommt einem zuweilen in die Hände, so z.B. bekam ich vor zwei Jahren die „Leipziger Zeitung“ zu Händen, aus welcher ich interessante Anzeigen schnitt, die ich im vorigen Briefe vergaß, aber Euch jetzt zuschicke. Auch schicke ich hierbei ein Briefchen an Kaffenberger und einige Zeilen an Ollo Göbel, sei so gut lieber Carl und befördere dieselben, nachdem Du ein Couvert wirst darüber gemacht haben, und schreib mir recht bald recht viel neues Erfreuliches.
Mit dem herzlichen Wunsche dass Euch allesamt dieser Brief recht gesund und wohl antreffen, und Ihr es lange bleiben möget, schließe ich hiermit und verbleibe unter vielen Grüßen an Euch alle von mir und meiner Familie Euer Euch innig liebender Bruder
F. Huth.


Brief vom 24. Januar a. St 1853 - Alt-Nassau

Vielgeliebte Geschwister
Nach langem vergeblichen Hoffen und Harren auf Antwort von Euch auf meinen letzten Brief kann ich meine Ungeduld nicht länger bemeistern, sondern ergreife die Feder, um mich nach der Ursache des langen Zögerns zu erkundigen. Euern letzten Brief vom 27. Juli 1851, sowie die Einlage von Kaffenberger, erhielt ich am 16. August a. St. (Anmerkung: das heißt "alten Stils" und kennzeichnet die unterschiedlichen Daten in Russland und Deutschland), und ich schrieb Euch darauf, (Monat und Datum ist mir der Lange der Zeit wegen schon vergessen) und legte einen Brief an Kaffenberger und ein Blatt an Otto Göbel bei, aber bis jetzt erhielt ich keine Antwort, was mir umso unbegreiflicher ist, weil ich langes Warten von Euch gar nicht gewohnt bin. Ich habe mir deshalb schon alle nur möglichen Vorstellungen gemacht. Anfangs glaubte ich, Kaffenberger würde der Überbringer eines Briefes sein, dann dachte ich aber auch, es könnte einer unserer Briefe verloren gegangen sein, oder es ist bei Euch irgendetwas passiert, weshalb Ihr mir noch flicht geschrieben hättet, u. dgl. m. Am 14. Juni v. J. erhielt ich einen Brief von Bernhard (folgen zwei nicht identifizierbare Zeichen) vom 31. Mai aus Gemünden am Main. Derselbe schilderte mir seine Lage und bat mich um schleunige Antwort, da ich aber täglich auf ein Schreiben von Euch wartete, so ließ ich den Brief unbeantwortet, in der Absicht, gleichzeitig an Euch mit zu schreiben, aber wegen Eurem Schweigen, verblieb es bis jetzt.
Ich muss Euch nun gleich etwas von mir und meiner Familie mittheilen, am 1. September wurden wir wieder mit einem Sohn gesegnet, (Namens Otto) es ist der 2te Junge, das 4. Kind, und jetzt schon ein tüchtiger Kerl; ich und meine Familie befinden uns jetzt gottlob recht wohl; das 1852. Jahr war ein überaus gesegnetes, es wurde in hiesiger Gegend bei weitem nicht alles Getreide vom Felde nach Hause gebracht, ein Tagelöhner verdiente in der Emde fast ebenso viel als ein Goldgräber in Kalifornien, ein Mäher nämlich 1,5 bis 2 Preußische Thaler täglich und ein Mädchen zum Nachrechen oder Binden 1 Thaler und darüber. Infolgedessen wurde hier auch alles etwas teurer, und ich war auch willens, mein Schulfach aufzugeben um meine Profession wieder zu betreiben. Die hiesige Gemeinde legte mir aber aufs Neue wieder 50 Rubel an Gehalt zu, und so bleib ich wieder.
Seit dem Sommer grassiert in hiesiger Gegend die Rinderpest, und russischen Dörfern ist fast alles Rindvieh gefallen; hier ging es, der 3te Teil Vieh blieb hier am Leben. Ich war besonders glücklich, meine 3 Kühe (unleserlich danach) durch und nur eine Kalbe krepierte. In manchen Kolonien blieben 10, 5, auch nur 3 von 100 leben, bei den Russen bleibt mehr, die haben einheimisches hartes Vieh. Die aus Deutschland bezogenen Rassen sind feiner und fallen leichter. Bis zum 4. Januar a. St. hatten wir hier (fast wie in Deutschland und anderen Ländern) sehr gelinde Witterung, seit dem aber haben wir bis 10 Grad Kälte gehabt, aber noch keinen Schnee.
Lieben Brüder Carl und Louis, der Bernhard eröffnete mir in seinem Schreiben, seinen Entschluss hier her zu kommen und bat mich um Reisegeld dazu, was mich sehr wunderte, nicht dass er Reisegeld braucht, sondern dass er sich darum an mich wendete. Die Ursache sei welche es will, nur nehmt meinen Rath, wir wollen die Sache gemeinschaftlich betreiben und unsern Bruder wo möglich zu einem guten Fortkommen verhelfen, steuert Ihr gemeinschaftlich so viel zusammen, dass er hier her reisen kann und ich werde hier für sein Fortkommen sorgen, verpflichte mich auch nötigen Falls dafür zu sorgen, dass er Euch später Euer Geld von hier aus wieder zuschickt, denn ich habe hier für ihn Aussichten, wo er sein gutes Fortkommen haben wird. Sollte dieser mein Vorschlag bei Euch Anklang finden (was ich nicht bezweifele), so würde ich mich ungemein freuen, der Bernhard in meiner Nähe würde mir einigen Ersatz für die Abgeschiedenheit von Euch und der lieben Heimat sein. Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, so habt die Güte und schickt dem Bernhard den beiliegenden Brief baldmöglichst zu, und benachrichtigt ihn gleichzeitig von Eurem Entschluss, ob er sich an Euch wenden kann oder nicht, (in Bezug des eben erwähnten,) ich bitte Euch aber recht herzlich, mir in dieser Sache, mögt Ihr sie aufnehmen wie ihr wollt, nichts übelzunehmen, schreibt mir doch auch ja recht bald und recht viel, besonders was alle Geschwister, als die Emma, Rieke, Agnes und Robert, von welchen ich immer nur wenig erfahre, machen, wie viel Kinder Ihr alle habt und wie alt die ältesten schon sind, der Carl redet 1851 schon von seinen Jungen nach Randerothshausen gehen, das scheint mir unmöglich, meine Abwesenheit von Euch scheint mir überhaupt nur wie ein Traum, wenn ich aber meine Kinder, wovon der älteste schon 7 Jahre alt ist, ansehe, dann finde ich mich in die Wirklichkeit versetzt.
Grüßt mir alle Verwanden, Bekannte und Freunde recht herzlich besonders Karl Schmidt, Ollo Göbel, Onkel Huth in Roßla, Albert Heinerke und s. w. Schreibt mir auch, warum Pößneck hat auf der Weltausstellung in London eine Preismedaille bekommen und für was? Euch von mir und meiner Familie noch vielmals grüßend verbleibt mit dem herzlichen Wunsch, dass es Euch alle recht wohl gehen möge Euer Euch aufrichtig liebender Bruder und Schwager
F. Huth.
Zusatz am Rand: schreibt doch ja recht bald, ich meine immer, es ist etwas vorgefallen.
PS. die gesottenen Fische munden vortrefflich, und wir gedenken Euer stets mit dem Wunsche, dass Ihr unsere Gäste sein möchtet.
Über beiliegenden Brief macht ein Couvert und schickt ihn bald an Bernhard.


Brief vom 28. Februar/12. März 1854 - Alt-Nassau

Vielgeliebte Geschwister, Schwager und Verwandte!
Deinen Brief, lieber Bruder Carl d. d. 10. April 1853, erhielt ich am 8.120. Mai v. J. und ersah daraus, dass es Euch so ziemlich allen wohlgehet, den ganzen Sommer und Herbst hindurch hoffte ich, der Bernhard würde mich hier überraschen, aber vergeblich; und vorläufig werde ich auch wohl diese Hoffnung ganz aufgeben müssen; viel Sorgen habt ihr mir schon gemacht wegen der bei Euch in Deutschland immer mehr überhand nehmenden Teuerung; während man hier im Überfluss lebt, mangelt bei Euch das liebe Brot, und in Folge dessen werden vielleicht auch in Euren Familien (Wort unleserlich) , Einschränkungen eingetreten sein. Hier ist alles in Überfluss, die vorjährige Ernte war wieder eine ausgezeichnete, in Folge dessen die Taglöhner in der Ernte einen bis eineinhalb Rubel Silber (1 Fl. 40 Kr. bis 2 1/2 Fl.) täglich verdienten, aber auch alle Handwerker schlugen auf, und ich benutzte diese Zeit ebenfalls und habe tüchtig seilerirt, gegenwärtig habe ich noch 60 P.(?) Hanf erster Sorte liegen, den ich mit Gottes Hilfe diesen kommenden Sommer verarbeiten will, bis Ende Matz hört die Schule auf und dann soll es frisch an die Arbeit gehen. in Folge der starken Weizenausfuhr stieg das Tschetwert hier in den Kolonien auf 5 Rubel bis 5 Rubel 15 Kopeken Silber, in Berdjansk, der Hafenstadt des Asowschen Meeres, 100 Werst von hier, 6 Rubel Silber und darüber; das Tschetwert Roggen kostete im Sommer 1 1/2 Rub., jetzt 2 Rub. Silber. Dieser hohe Weizenpreis brachte viel Geld in die Kolonien.
Auch Ihr werdet wegen den kriegerischen Verhältnissen nicht ganz außer Sorgen um mich gewesen sein, zu Eurer Beruhigung habe ich auch schon lange schreiben wollen, allein im Herbst hatte ich im Dienst so viel zu schreiben, dass ich froh war, wenn ich davon loskommen konnte, und nach Weihnachten, wo ich meine Schreiberei beendigt hatte, benutzte ich meine Mußestunden um Zerstreuung auf der Jagd zu suchen, und so riss der alte Schlendrian bei mir ein, aber jetzt lässt mir das Gewissen keine Ruhe mehr, und ich benachrichtige Euch, dass man hier trotz allem Krieg und Kriegsgeschrei und trotz allen Rüstungen, die die Feinde Russlands betreiben, ganz ohne Sorgen lebt, obgleich wir nicht weit von der Grenze wohnen, denn Sewastopol, die Festung am Schwarzen Meere in der Krim, ist nur 350 Werst, Odessa 500 Werst von hier. Einquartierungen haben hier die Kolonisten noch nicht gehabt, auch sind durch die hiesigen Kolonien noch keine Durchmärsche gewesen, aber im Kurzen werden 18.000 Mann auf dem Durchmarsch erwartet, alles beeifert sich, die russischen Truppen aufs Beste zu quartieren und zu bewirten und denselben den Marsch zu erleichtern, wozu mit der größten Bereitwilligkeit von Seiten der Kolonisten die nötigen Fuhren zur Weiterbeförderung gestellt werden. Ein unbeschreiblicher Patriotismus beseelt alle hier in Russland lebenden Völker und alle würden bereitwillig auch die größten Opfer dem Vaterlande darbringen, wenn es von der Regierung verlangt oder angenommen würde; die Hl. Engländer und Franzosen würden wohltun, von Russland wegzubleiben, wenn sie nichts auf die Mütze haben wollen, denn Russland stehen alle Mittel zu Gebote, einen Krieg mit Kraft und Energie zu führen.
Nun noch etwas in Betreff meiner Familie: Wir sind jetzt Gott sei Dank alle gesund, im vergangenen Herbst hatten meine beiden Mädchen das Scharlachfieber, und waren sehr krank, und vor einigen Wochen bekam der jüngste Junge, Otto, das Zahnfieber und in Folge dessen Krampfe (bei Euch glaube ich Fräsel genannt). Wir glaubten nicht, dass er durchkommen würde, ist aber jetzt auch wieder gesund, mit mir geht es jetzt auch so ziemlich, diesen Winter hatte ich mir eine Erkältung zugezogen und war einige Tage krank. Wir haben hier einen Winter, wie noch keiner war. Zwar ist keine übermäßige Kalte, aber vom Herbst her eine ununterbrochene Schlittenbahn und viel Schnee. Die Hasen sind hier in diesem Winter in so großen Mengen, dass sie zur Landplage geworden sind, und in den Garten und Waldanpflanzungen einen ungeheuren Schaden durch das Abnagen der Bäume angerichtet haben.
Wenn ich wieder schreibe, werde ich auch eine Marschroute schicken, vorher wird doch keiner Gebrauch davon machen. Die Dorfzeitung habe ich noch nicht verschrieben, werde es auch bis nächstes Jahr anstehen lassen, für dieses Jahr habe ich wieder den „Zuschauer“ aus Riga, kostet aber 10 Rubel Silber.
Hört Ihr nichts mehr von Kaffenberger? Der ist wohl schon längst nach Amerika gesegelt. Meinen Ansichten nach wäre es für Professionisten und Tagelöhner besser, sich hierher statt nach Amerika zu machen, wenigstens wäre nicht so viel riskiert, auch kann man hier wohnen, ohne sein Heimatrecht aufzugeben.
Wo ist jetzt der Bernhard und warum ist er nicht hierhergekommen? Wenn ich früher gewusst hätte, dass die Agnes Lust hatte, hierher zu kommen, so hätte ich ihr früher mehrmals von Danzig aus Gelegenheit bis her verschaffen können, jetzt tut’s mir sehr leid, dass ich ihre Gesinnung nicht früher wusste. Schreibt mir doch, wo der Bernhard jetzt ist, so wie auch, wie sich alle Geschwister, Verwende sich befinden. Führst Du, lieber Carl, keinen Briefwechsel mit dem Onkel Huth in Roßla? Was und wo ist Vogels, meines Lehrmeisters Sohn, wenn er Seiler ist, schick ihn her zu mir, überhaupt, wenn dort ein ordentlicher Seilergeselle ist, der kann hierher kommen, ich führe ihm Arbeit und einen guten Lohn zu, er kann sich hier so viel verdienen, dass er später sich hier selbst etablieren kann, zwar habe ich wieder als Schullehrer Kontrakt gemacht, aber den Sommer habe ich frei und im Winter könnt ich auch recht gut einen Gesellen brauchen. Ich habe dieses Jahr wieder eine Zutage von 5 Tschetwert Gerste erhalten, ich bekomme jetzt 100 Rubel Silber, 20 Tschetwert Getreide (40 Scheffel), Wohnung, Heu, Brennmaterial, Garten, Kartoffelland und mehreres Andere.
Jetzt muss ich aber schließen, lebt alle recht wohl und behaltet im guten Andenken Euren Euch liebenden
Franz Huth
Vergesst nicht recht bald und viel zu schreiben.
Alle Verwandten und Freunde bitte ich herzlich zu grüßen, sowie Euch auch meine Frau und Kinder vielmals grüßen.


Brief vom 17. Juli 1855 (nicht sicher lesbar) - Alt-Nassau

Vielgeliebte Geschwister!
(1. Seite des Briefes so gut wie gar nicht leserlich; Text deshalb unsicher und unvollständig, teils auch auf den folgenden Seiten.)
Nachdem ich nun schon länger - über ein Jahr - vergeblich auf Beantwortung meines letzten Briefes gewartet habe, kann ich nun durchaus nicht länger warten, um mich bei Euch nach der Ursache dieser Verzögerung zu erkundigen. Deinen letzten Brief, lieber Carl, v. 10. April 1853 erhielt ich am 8. Mai desselben Jahres und beantwortete ihn am 1. März 1854; ich   denselben die Ostertage...und dessen Beantwortung zu benutzen und hoffe nun seit Pfingsten vergangenen Jahres vergebens auf Antwort. Am 10. März dieses Jahres erhielt ich einen Brief von Bernhard aus Jauer. (Weiter nicht leserlich).
Aber Gott sei Dank, wir haben hier noch nicht das Geringste gelitten, unsere Kolonisten haben fast den ganzen Winter und mit Unterbrechung auch noch jetzt Proviant, der aus dem Inneren Russlands kommt, nach der Krim gefahren, aber die Regierung bezahlt alles und so fehlt es hier nicht an Geld, obgleich der Getreidehandel ins Ausland nicht geht; Militärdurchmarsche haben wir nur im vorigen Jahre gehabt und die Soldaten wurden von den Kolonisten mit Enthusiasmus aufgenommen, gepflegt und zu Wagen weiterbefördert. Und auf den Wunsch der Kolonisten sind einige Tausend Mann, kranke und verwundete Krieger, hierher in Pflege gegeben worden, welche sich die Kolonisten in der Krim abholten, die leicht Verwundeten in je ein Haus einquartiert, die schwer Verwundeten aber in eigens dazu eingerichtete Lazarette untergebracht worden sind, eines dieser Lazarette haben wir hier in Alt-Nassau gehabt, und ich habe dabei als Schreiber auch viel Arbeit, wohl nicht im Lazarette selbst, aber im Spezialamte gehabt, jetzt sind alle gesund nach der Krim zurückgekehrt, und die Tränen dieser gehärteten Krieger sprachen beim Abschiede laut die Dankbarkeit gegen die kolonistische Pflege (aus). (Nicht leserlich) des Asowschen Meeres und Ihr werdet in den Zeitungen von den Zerstörungen, die sie in den friedlichen Handelsstädten dieses Gestades angerichtet, wo sie früher ihr Getreide holten, gehört haben. Obgleich die Grenzen dieses Meeres von Südwest aus bis Ost nicht viel über 100 Werst betragen, so lebt man hier doch ganz ohne Furcht vor den Feinden, nicht etwa, dass man ihnen viel Humanität zurechnet, denn vom Gegenteil spricht laut die Stadt Kertsch, wo hauptsächlich die Engländer mit den Türken wetteiferten, die dortigen Bewohner zu berauben und zu misshandeln, viele dieser Kertscher haben sich, von Allem entblößt, hier in den Kolonien ein Unterkommen gesucht und wo es nötig ist, von der Regierung unterhatten; sondern man glaubt nicht, dass sie es wagen werden, sich Landein zu begeben.
Andere Feinde als diese tauchen jedoch auf, denn seit Kurzem existiert in der Umgegend die Cholera und selbst in der nur 3 Werst von hier entlegenen Central-Kolonie Molotschna sind seit einigen Wochen mehrere Erkrankungen vorgekommen, die sämtlich mit dem Tode endigten, doch unser Leben ist in Gottes Hand, und all unsere Tage sind in sein Buch geschrieben, er weiß uns zu jeder Zeit und an jedem Ort zu finden.
Aber noch nicht genug, noch eine andere Landplage hat uns heimgesucht, dieses ganze Gouvernement nämlich ist übersäet mit Heuschrecken, östlich von hier in einigen Mennoniten-Kolonien, südlich bei Russen und Nogaj-Tataren. Wo die Brut ausgekommen ist, haben sie alles Gras und Getreide rein abgefressen, und obgleich mit allem Kraftaufwand zu ihrer Vertilgung geschritten, so lange sie nicht fliegen konnten, und Millionen mal Millionen getötet wurden, so blieb doch die Menge scheinbar gleich groß, so viele getötet wurden, um so viel größer und gefräßiger wurden von Tag zu Tag die noch Lebenden. Von den Steilen, wo die Brut ausgekommen war, marschierten sie nach allen Richtungen weiter, über Flüsse u(nicht leserlich) alles vor sich her verheerend, erreichten aber dieses Gebiet als Infanterie nicht, dies war ein Glück für unsere Kolonisten, denn Heu, Roggen, Gerste und Hafer konnte hier geerntet werden, bis am 25. Juni a. St. im Osten ganze Schwarme in die Luft aufbrachen, und was so 5 bis 6 Tage anhielt, die aber, sobald sie die Grenzen einer Kolonie erreicht, nach Möglichkeit und unter möglichst großem Geklingel mit Sensen, Lärmen und Schießen von Jung und Alt zu Pferde und zu Fuß weiter expediert wurden, ohne ihnen Rast zu gönnen. Überall gelang dies freilich nicht, denn des Nachts fliegen sie nicht, und wo sie sich abends niedergelassen, fraßen sie am Morgen alles rein weg, dieses Schicksal betraf auch unter anderem unsere Nachbarkolonie Weinau, diese jagten den 26. Juni, den ganzen Tag, tüchtig; am Abend aber kam ein Zug, der sich nicht abweisen ließ, und am Morgen des 27.Juni war ihr ganzer Weizen und noch ein Teil Hafer und Gerste, das noch nicht abgeerntet war, rein abgefressen (nahezu früher 500 Desjatinen oder 1000 Morgen). Alt-Nassau und einige andere Kolonien waren glücklicher, sie bekamen fast den ganzen Weizen ab, wenngleich auch manchen noch sehr grün. Wer so einen Heuschreckenschwarm noch nicht gesehen hat, macht sich keine Vorstellung davon. Ein Zug ist oft 4 bis 5 Werst lang und 7 bis 8 Werst breit und so dicht, dass die Sonne nicht durchscheinen kann, und viele solcher Schwärme, die von weitem aussehen, wie lange schwarze Rauchwolken, konnten wir für Tage rund am Horizont herum, manche näher, manche entfernter, sehen, jetzt hat sie der Nordwind fast alle wieder zurück nach Südost gejagt; wünschenswert wäre es, wenn sie der Wind übers Meer zurückbrächte, damit es nicht aufs Neue (nicht leserlich) Jahr in der Gegend Brut gäbe von diesen ungebetenen Gästen.
Wie hier die Heuschrecken, so sollen im Gouvernement Jekaterinoslaw die Steppen-Mäuse alles verheert haben, die Steppen-Maus ist eine kurzgeschwänzte Maus von der Größe einer Ratte, aber etwas schwerer, lebt in freier Steppe in Löchern (nicht leserlich) und kommt in manchen Gegenden massenweise vor.
Folge dieser Verheerungen und der großen Dürre, die dieses Jahr hier herrscht, hoffen lässt, dass es Kartoffeln und andere Gartengewächse gibt, wäre Hungersnot zu befürchten. Allein infolge des Wertes der Getreideausfuhr seit Beginn des Krieges (nicht leserlich), sind noch ziemliche Weizenvorräte in den Kolonien und der Umgegend, und so dürfen wir auch in dieser Hinsicht nicht verzweifeln.
Außer dass ich und meine Familie gesund und wohl bin, weiß ich Euch nichts zu schreiben, (nicht leserlich) dass die Feinde in der (nicht leserlich) noch keine großen Vorteile (nicht leserlich) und dass sie beim Stürmen am 6./18. d. M. von den Russen gut eins erwischt bekommen haben, werdet Ihr aus den Zeitungen erfahren haben. Nun zum Schlusse bitte ich Euch (nicht leserlich), ja gleich wieder zu schreiben, der Brief aber ist zu frankieren, schreibt mir recht viele Neuigkeiten, hauptsächlich vom Befinden und Ergehen aller meiner Geschwister, Schwägerinnen, Verwandten und Freunden, Kaffenberger nicht zu vergessen und grüßt alle (nicht leserlich) und Bekannte, auch bitte ich, Bernhard von meiner Nachfrage (nicht leserlich) in Kenntnis zu setzen, denn ich habe seinen Brief nicht beantwortet, weil ich immer noch auf den Eurigen gewartet hatte, und jetzt ist es unsicher, weil ich nicht weiß, ob er noch in Jauer ist.
In der Hoffnung, dass Ihr meinen Wunsch bald berücksichtigen werdet, und dass dieses Schreiben Euch alle gesund und wohl antreffen wird, verbleibe ich unter vielen herzlichen Grüßen von meiner Frau und Kindern Euer Euch liebender Bruder
Franz Huth


Brief vom ? November 1855 - Alt-Nassau

(teils nicht leserlich oder unsicher entzifferbar)
Vielgeliebte Geschwister!
Endlich am 28. September a.St. erhielt ich Deinen Brief, lieber Bruder Carl, d.d. 9.September. Ich war eben im Begriff, mich an den Magistrat in Pößneck zu wenden, um (2 Wörter unleserlich). Auskünfte über Euch zu erlangen, denn ich konnte nicht daran glauben, die ganze Familie sei ausgestorben, (nicht leserlich) dass ein Brief von Euch verlorengegangen ist; um Euch nicht in (nicht leserlich) Besorgnisse zu versetzen und Euch nicht um die gewünschte Neujahrsfreude zu bringen, beantworte ich Euch Euren Brief jetzt schon wieder, obgleich es mir kaum möglich ist, in meinem Dienst so viel Zeit zu entnehmen, als zum Schreiben nötig ist, denn ich werde jetzt so in Anspruch genommen, dass ich oft nicht weiß, wo mir der Kopf steht, den Tag über habe ich mich mit meinen 140 Schulkindern herumzuärgern, des Abends (nicht leserlich) fast immer bis Mitternacht habe ich teils im Schulzenamte, teils zuhause zu sitzen, zu rechnen und zu schreiben, die Akten zu ordnen, Journal zu führen und Tabellen und Jahres(nicht leserlich) anzufertigen; in Folge der Kriegsverhältnisse gibt es mehr als noch so viel zu schreiben als früher; durch diese Anstrengungen leide ich seit einiger Zeit an Brustschmerzen, an den Augen habe ich schon früher gelitten, so dass ich seit 2 Jahren bei Lichte ohne Brille (nicht) lesen oder schreiben kann. Infolgedessen und weil ich unter diesen Umständen mich nur wenig mit der (nicht leserlich) beschäftigen kann, habe ich mich entschlossen, meinen Dienst, der immer zum 1. April endet, aufzugeben, zu Neujahr ist der Kündigungstermin, da werde ich aufkündigen, da ohnedem jetzt hier alle Geschäfte und Handel so gehen wie noch nie, Geld rollt hier genug und ist auch viel Geld zu verdienen; wenn ich nur 112 Dutzend Seilergesellen bis zum Frühjahr haben könnte, Arbeit wäre genug für sie, und Lohn würde ich ihnen so viel geben, wie sie in Deutschland nirgends verdienten, den größten Lohn bekommen hier wohl jetzt die Stellmacher und Schmiedegesellen, letztere monatlich 20 bis 30 Rubel Silber.
Nun, lieber Bruder Carl, muss ich Dir zuerst Deine Fragen beantworten. Sewastopol hegt von hier 350 Werst und das Gouvernement Taurien enthalt die Halbinsel Krim und den Landstrich zwischen Faulen und Asowschen Meere einerseits und dem Fluss Dnjepr andererseits bis zum Flüsschen Konske, so dass Alexandrowsk und Mariupol schon im Gouvernement Jekaterianoslaw liegen, die Molotschaner Kolonien aber auf der auf den Karten angegebenen „Nogaischen Steppe“ befindlich sind, und wenn Du eine Linie von Alexandrowsk nach Berdjansk ziehen würdest, so träfest Du die Kolonien Prischib und Halbstadt (die Central-Kolonien wie die Bezirksämter sind Prischib oder Molotschna des Kolonisten- und Halbstadt des Mennoniten-Bezirks oder Gebietsamt). Beide erwähnte Kolonien liegen nur 2 Wersten von hier entfernt. Von hier nach Berdjansk sind 100 Wersten, bis Alexandrowsk aber nur 80 Wersten. Nun wirst Du wohl die Gegend herausfinden, wo ich wohne, denn die (nicht leserlich) erwähnten beiden Städte sind Kreisstädte und auf allen Karten verzeichnet.
Zu Eurer Beruhigung muss ich auch noch erwähnen, dass die Cholera längst erloschen ist und dass es bei den wenigen Opfern blieb, die sie in Prischib forderte und wovon ich Euch bereits in meinem vorigen Brief schrieb.
Wenn nur erst wieder Ruhe und Frieden ins Land eingekehrt sein wird, dann wird sich mit der Zeit auch eine Aussicht zu einer Besuchsreise in die Heimat darbieten, mehrere Eisenbahnen sind im hiesigen Reiche (nicht leserlich); auch wird die Donauschifffahrt durch die Seite durchprojektierte Arbeiten.
Wenn mir Gott nur Gesundheit schenkt, so kann uns die Freude des Wiedersehens noch zu Teil werden. Wo befindet sich jetzt der Bernhard? Wird er mich noch besuchen? Ich kann freilich wenig zu seiner Reise hierher beitragen, Verschreibung kann nur ein Edelmann oder eine ganze Gemeinde erteilen, und das ist mit ungeheuren Schwierigkeiten verknüpft, und Reisegeld kann ich ihm ebenfalls nicht schicken, denn es wird kein Geld auf der Post angenommen, um solches über die Grenzen zu schicken, aber trotzdem würde es dem Bernhard möglich sein herzukommen, wenn er ernstlich wollte.
Vorige Woche sind wieder einige Leute aus Westpreußen hier angekommen, die ohne weiteres vom russischen Konsul in Danzig einen Reisepass hierher, um Freunde zu besuchen, erteilt bekamen. Wer erst hier ist, bekommt auch von Jahr zu Jahr ein Aufenthaltsbillet vom Gouverneur.
Nun auch herzlichen Dank für die schönen lithographischen Briefbögen. Wer ist der Lithograph O. Trautmann (?Carl Trautmann (1804-1874), deutscher Lithograf?). Kenne ich denselben nicht? Und wo steht Eberleins Fabrik? Was für Maler Thalmanns Tochter ist denn Karl Schmidt seine Frau, ich kenne nur einen Dreher Thalmann, der wohl schon lange tot sein wird, und dessen ältesten Sohn Louis Thalmann, dem ich unvorsichtigerweise einmal ein tüchtiges Loch in den Kopf warf.
Was macht mein Meister Gerhardt und seine Töchter? Die älteste muss schon hübsch herangewachsen sein, hab sie manchmal auf den Knien geschaukelt; auch möchte ich gerne wissen, was Karl Schmidt und (nicht leserlich) Mundkoch Bernhard Müller, meine alten Freunde, machen, sind beide etabliert und verheiratet? Dem Ollo Göbel laß ich zu seiner jungen (nicht leserlich) Frau gratulieren. Ist es seine erste Heirat?
Außer Beantwortung dieser Fragen schreibt mir recht bald recht viele Neuigkeiten, sowohl in Familienangelegenheiten als auch anderen städtischen Bedeutungen.
Ich kann Euch vom Kriegsschauplatze wenig Neuigkeiten mittheilen, denn es ist jetzt schon lange nichts Bedeutendes vorgefallen, aber Militär, besonders Landwehr (Ratniki nach der Reihe, Mann für Mann) sind massenweise hierdurch nach der Krim gezogen. Man sollte meinen, die Krim müsste von solcher ungeheuren Menschenmasse versinken.
Furcht vor die Feinde hat man hier durchaus nicht, ehe sie hierher kommen, werden sie ermüdet oder geschlagen sein, jeder Fußbreit Land wird ihnen streitig gemacht werden. -ich muss nun schließen und bitte, den Vetter Fritz sowie auch Ha Gerhardt wie überhaupt alle meine Bekannte und Freunde, insbesondere aber alle lieben Anverwandten vielmals zu grüßen und verbleibe unter vielen herzlichen Grüßen von mir und meiner Familie, insbesondere an Euch, meine lieben Geschwister, Euer Euch ewig liebender Bruder
F. Huth
Beiliegende paar Zeilen bitte ich der Agnes zu senden.
D. Obige


Brief von Franz' Bruder Bernhard Huth aus Jauer vom 25. Mai 1856 an Franz Huth

Lieber Bruder!
Nachdem ich Dein Schreiben vom 12. Januar nebst mein Wanderbuch erhalten habe, traf ich sogleich die nötigen Vorkehrungen, ich mir ein Schreiben an die russische Gesandtschaft machen, erfuhr jedoch abermals, dass ich blos durch Ausfertigung dass russische Visa erhalten könnte. Ich hatte auch dann die Sache fortgesetzt, wenn nicht der Zufall es anders leitete; welches ich Dir jetzt mittheilen will.
Am neunten Februar hatten wir nämlich einen Ball, wo ich allein mich nicht gut ausschließen konnte, ich lud dazu mir eine Dame hiesigen Ortes ein, die ich kurze Zeit vorher kennengelernt hatte. Durch nähere Bekanntschaft deren Eltern wurde mir abgeredet, die Reise nach Russland nicht zu unternehmen, da ich eine Existenz hier gründen könnte, ich entschloss mich aber nicht sogleich, sondern wartete noch einige Zeit bis heutigen Tag, da ich aber durch vieles bitten der Tochter, und die Zufriedenheit der Eltern mich bewegen ließ, so benachrichtige ich Dir also hiermit die Reise aufzuschieben.
Die Eltern sind schon bejahrt, der Vater 63 Jahr, die Mutter etwas jünger, Kinder sind bios zwei vorhanden, wovon die ältere Tochter schon an einen Gerbermeister verheiratet ist. Die jüngere jedoch erst 17 Jahre alt ist und ich jedenfalls ein bis zwei Jahre warten muss. Dass am Wasser gelegene Haus nebst Garten erhält die jüngere Tochter mit Namen Anna Brauer, wenn auch das Vermögen sonst nicht groß ist, so erhalt doch jede außer dem Hause noch etliche hundert Thaler; nur der Anfang zur Gerberei ist hier nicht so schwierig als bei uns zu Hause, dass Meister werden kostet beim Mittel 10 rC (?Rechnungsgulden?). Nur dass Bürgen am Anfang kostet 12 rC (?Rechnungsgulden?). um das Fortkommen würde es Sorgen tragen.
Lieber Bruder nun sei gut und sage mir Deine Meinung, schreibe mir recht bald, denn Fräulein Anna hat mich schon längst dringend gebeten, dass ich Euch möchte in Erkenntnis setzen unseres Verhältnisses, damit ich in Wahrheit bestehe, wenn ich Dein nächstes Schreiben ihr vorlege.
Am 6. Mai hatten wir Hochzeit bei unserem jungen Meister. Derselbe trat die Lehre an als ich das erste Mal hier arbeitete. Wir sind jetzt 7 Gesellen, wovon ich der älteste bin, die Arbeit geht sehr forsch, aber der Verdienst für uns ist flau, doch haben wir gute Kost, die bei jetziger Zeit großen Wert hat, einer fruchtbaren Ernte sehen wir entgegen, dass Getreide und Obst in vollster Pracht, der April war bei uns schön warm und fruchtbar, der Mai jedoch regnerisch und kalt.
Grüße alle Geschwister und Bekannte.
Um baldige Antwort bittet Dein Bruder
Bernhard Huth


Brief vom 12./24. Februar 1858 - Alt-Nassau

Meine lieben Geschwister!
Ihr werdet wohl nicht ganz unbesorgt um mich gewesen sein, weil ich so lange nicht habe von mir hören lassen. Das Sprichwort: „Anderer Leute Mäuse fangt er und seine lässt er laufen“, bewahrte sich auch an mir, denn den ganzen Winter habe ich mich ausschließlich mit Schreiberei für andere Leute beschäftigt, und an Gesandtschaften, Regierungen, Gerichte und Privatpersonen jeder Art und Standes geschrieben und dabei unterlassen, Euch Nachricht von mir zu geben, aber auch Ihr werdet die Erfahrung schon gemacht haben, dass wenn erst eine Sache ins Hängen kommt, sie sich auch gern in die Lange verzieht. Deinen Brief, lieber Karl, d. d. 25. Dezember 1856 empfing ich den 12./24. Januar 1857 und traf mich und meine Familie im besten Wohlsein an, meine Frau sah ihrer 6ten Niederkunft entgegen, diese wollte ich auch abwarten, um Euch Nachricht zu geben, am 3./15. Marz wurde meine Frau nun von einer Tochter entbunden, die den Namen Bertha erhielt, diese lauft jetzt schon allein in der Stube herum und erinnert mich täglich an meine Schuldigkeit.
Heute haben wir hier Buß- und Bettag, und diesen benutze ich, Euch den zu Ostern v. J. erbetenen Brief zu schreiben, damit Ihr ihn doch wenigstens noch Ostern d. J. erhaltet. Freude machte es mir, lieber Karl, aus Deinem Briefe zu ersehen, dass alle meine Lieben in der Heimat gesund und wohl waren, und gewundert habe ich mich, dass sich die Agnes mit einem Militär verheiratet hat; meinen Ansichten nach kann kein gemeiner Soldat eine Frau ernähren, und aus dem Briefchen der Agnes ist nicht zu ersehen, dass ihr Mann einen Rang besitzt, im Übrigen ist dieselbe nicht mehr so jung und mir auch nicht als flatterhaft oder unbesonnen bekannt, dass sie sich so in den Wind hinein an einen Mann gebunden haben sollte, ohne Aussicht auf einen genügenden Unterhalt zu haben, gib Du mir doch, lieber Bruder, über diesen Punkt näheren Aufschluss.
Und nun, wie steht's mit dem Bernhard? Ist er verheiratet und bleibt er in Jauer und unter welchen Verhältnissen hat er sich selbst etabliert, oder arbeitet er für andere Meister, wie es auch in Pößneck Meister gibt? Wenn Du mir hierüber Nachricht gibst, schicke mir doch auch seine Adresse, damit ich ihm auch einmal schreiben kann. Du schreibst mir von einer Eisenbahn, welche dicht an Pößneck vorbeigehen wird, auch wir bekommen hier eine Eisenbahn, die dieses Frühjahr in Angriff genommen wird und von Moskau nach Feodosia in der Krim geht und dicht bei uns vorbei gehen wird, eine Gesellschaft von in- und ausländischen Kapitalisten wird dies Unternehmen ausführen.
Wie viele Veränderungen mögen in Pößneck vorgegangen sein, seit ich da fort bin, ich würde, wenn es mir vergönnt sein sollte, noch einmal da hin zu kommen, mich daselbst kaum zurechtfinden und die Leute nicht mehr kennen; Kinder, die damals kaum einige Jahre alt waren, sind jetzt verheiratet oder heiratsfähig, dem Heinrich Gerhard drehte ich sein Meisterstück, arbeitete bei ihm, als seine ersten Kinder geboren wurden und wiegte sie unzählige Male auf den Knien, und jetzt sind es heiratsfähige Mädchen, und noch ein solcher Zeitraum und sie ergrauen oder sind gar schon tot, bei solchen Gedanken wird man lebhaft an die Worte Davids erinnert.
Dass Du trotz teurer Zeit so viel erspart hast, ein Haus für 2.100 Gulden kaufen zu können, machte mir große Freude und gereicht Dir und Deiner Frau zu Ehren und zeugt von einer guten Wirtschaft; dass es aber der Emma nicht gut ergeht, bedauere ich recht sehr; da ich nun in Gedanken bei der Emma in Leipzig bin, muss ich Dich benachrichtigen, dass ich mir schon fast den Kopf zerbrochen habe über alles Grübeln, wer wohl der Russe gewesen sein mag, der sich bei den Pößnecker Gerbern auf der Ostermesse nach Euch erkundigt hat, können vielleicht besagte Gerber Auskunft geben, in was für Geschäften der Fremde in Leipzig war, wie er ausgesehen und wie alt er ungefähr war und wo er ist? Gib mir doch wo möglich auf diese Fragen Antwort.
Wenn Du nach Börden (?https://de.wikipedia.org/wiki/Bürden?) oder Rentwertshausen kommen solltest, so erkundige Dich doch in Eisfeld nach Kaffenberger, ich habe noch keine Nachricht von ihm erhalten, ein Zeichen, dass es ihm in Amerika nicht gut geht oder er gar tot ist.
Nun zur Beantwortung Deiner Fragen: Von hier zu Land nach Odessa sind ungefähr 450 Wersten, die man in 5 Tagen fährt. Und von Odessa nach Konstantinopel fährt man mit dem Dampfschiff in 24 Stunden. Außerdem kann man von dem 100 Wersten von hier am Asowschen Meere gelegenen Berdjansk zu Dampfschiff durchs Asowsche und Schwarze Meer nach Odessa in einigen Tagen fahren; dem ungeachtet haben wir nicht den geringsten Verkehr mit den Türken, und so lange ich hier bin, habe ich nicht ein einziges Mal gehört, dass einer von hier nach der Türkei gereist sei. Tataren, Armenier, Griechen, Karäer (türkische Juden) und Bulgaren, welche Völkerschaften aber insgesamt in der Krim wohnhaft sind, kommen in Geschäften zu (nicht leserlich) Zeiten hierher, und ganz in unserer Nachbarschaft wohnen die Nogaier (Nogaier Tataren, die sich mit Viehzucht und etwas Ackerbau beschäftigen, vor 50 Jahren aber noch als Nomaden herumzogen.)
Wenn Du mir wieder schreibst, benachrichtige mich doch, wie das Geschäft beim Louis geht und was der Robert und seine Frau macht und wie sich letztere führen, wo steckt Theodor Heinerke und was treibt er? Grüße alle meine guten Freunde vielmals von mir. Dabei vergiss aber namentlich Deine Schwägerin Katharine, Deine beiden Schwager Lehrer Englert, Hl. Gehrhardt und Lehrer Roth nicht und sei so gut und übermache der Schwester Agnes beiliegende paar Zeilen von mir.
Nun zum Schlusse muss ich Dich noch benachrichtigen, dass trotz der guten Ernte auch hier noch ein enormer Preis der Lebensmittel existiert, das Tschetwert Weizen kostete im Herbst noch 7 Rubel Silber. Jetzt stockt der Getreidehandel, und man kann Weizen zu 6 Rubel, Roggen zu 4 1/2 Rubel, Gerste zu 2 Rubel Silber kaufen, da ein Tschetwert fast noch einmal so viel ist als ein Dresdner Scheffel, so ist der Preis lange nicht so hoch als bei Euch, aber in hiesiger Gegend doch etwas unerhörtes und drei Mal so hoch als vor 12 Jahren.
Nun muss ich schließen, und mit dem Wunsche, dass Euch dieser Brief insgesamt und wohl antrifft verbleibe ich unter tausend herzlichen Grüßen von mir, von meiner Frau und Kindern an Euch alle, meine lieben Geschwister, Schwäger und Verwende Euer Euch stets liebender Franz Huth
Lieber Bruder Louis
Nachdem ich meinen Brief geschlossen, fällt mir gerade noch zur rechten Zeit ein, dass man vermittels eines Couverts auch noch die Außenseite benutzen kann, dieses Mittel wende ich immer an, um einige Zeilen an Dich zu richten, um mich nach Deinem und Deiner Familie Ergehen zu erkundigen. Aus des Karls Brief habe ich ersehen, dass Du mit Deiner Frau, dem lebenslustigen Röschen, nur zwei Kinder hast, welches gegen allen Brauch und Vertrag der Huth'schen Familie ist, was Du auch in unserm Stammbaum finden kannst. Ich habe bereits sechs Kinder, alle frisch und munter und bin doch noch um mehrere Jahre jünger als Du, lass mich erst so alt werden als Du bist, so kann ich Dir vielleicht statt 1/2 Dutzend ein halbes Mandel (Bem. der Red. engl. großes Dutzend =15) ankündigen.
Wie geht Dein Geschäft und wie befindest Du Dich mit Deiner lieben Frau? Hat sich Pößneck sehr verändert, ist vielleicht viel gebaut worden und wo namentlich? Wie geht das Geschäft bei Deinem Nachbar Gehrhardt, gedenkt er auch noch zuweilen meiner? Grüße ihn und seine Töchter vielmals von mir, letztere werden sich meiner aber wohl schwerlich mehr erinnern, vielleicht höchstens die Bertha, die war bei meiner Abreise vielleicht drei oder höchstens vier Jahre alt. Wo sind die beiden jüngsten Bärkerstöchter Dir gegenüber geblieben? An wen sind wohl die beiden jüngeren Töchter des Tuchmachers, Thaimann glaube ich, hieß er, er wohnte auf dem oberen Graben bei der neuen Schule gerade hinauf, verheiratet? Du wirst Dich wundem, dass ich mich für dieselben interessiere und nicht einmal den Namen mit Bestimmtheit angeben kann. Allein, es geht mir mit allen so, wenn ich so sitze und an die liebe Heimat denke, ist mir alles wie ein Traum, und ich muss mich lange besinnen, ehe ich den einen oder den anderen bekannten Namen herausfinden kann, auch wenn mir der Karl von den oder jenen schreibt, kann ich oft dessen Familie nicht herausfinden; es wird also hohe Zeit, dass ich bald mal nach Hause komme und alles wieder im Gedächtnis auffrische, was der Flug der Zeit beinahe verwischt hat. Ich hoffte immer, es würde sich einmal ein Pößnecker hierher verirren, mit welchem ich von der Heimat und seinen Bewohnern mich hätte unterhatten können, aber diese Hoffnung werde ich wohl aufgeben müssen. Der Plan, über kurz oder lang mal eine Besuchsreise zu Euch zu machen, ist bei mir noch nicht aufgegeben.
Ich muss nun schließen, und unter vielen herzlichen Grüßen an Euch und alle Bekannte und Freunde verbleibe ich Dein Dich liebender Bruder
Huth


Brief vom 3./15. April 1860 - Durlach

Vielgeliebte Geschwister!
Schon wieder ist ein Jahr verstrichen, seit ich Euren letzten Brief vom 28. Febr. v. J. erhalten habe, und ich finde es an der Zeit, meinen längst gefassten Vorsatz in Ausführung zu bringen und an Euch zu schreiben, der heutige regnerische erste Osterfeiertag bietet mir hierzu die beste Gelegenheit, und ich benachrichtige Euch zunächst, dass wir uns alle, bis auf unsere Tochter Bertha, welche schon längere Zeit am Fieber leidet, der besten Gesundheit zu erfreuen haben; und so leidend ich, hauptsächlich in den letzten Jahren meiner Dienstzeit immer war, so gesund bin ich jetzt, seit ich den Schuldienst aufgegeben habe; aber, werdet ihr Euch fragen, mit was wird er sich beschäftigen, wenn er nicht mehr Schullehrer ist? Und wundern werdet Ihr Euch, dass ich, wie meine beiden ältesten Brüder, ebenfalls, Handelsmann geworden bin, nur dass ich keine Lafke (Bem. der Red. russ.) oder Laden habe und das Geschäft nicht auf eigene Faust führe. In der Kriegszeit, als das nahe Berdjansk von Engländern und Franzosen bombardiert wurde, und viele der dortigen Bewohner eine Zufluchtsstätte in den Kolonien suchten, wurde ich mit einem Italiener Namens Thomasso Laura bekannt. Nach dem Friedensschlusse, als die Geschäfte ihren Fortgang nahmen, gab mir der genannte Kaufmann Aufträge, hiesige Produkte, als Seide, Seidenkokons, Seidenwürmereier (Bem. der Red. Seidenspinnereier), Wolle, rohes Leder und dergleichen für das Ausland aufzukaufen; das fortwährende hin- und herfahren, welches der Betrieb der Geschäfte mit sich brachte, hat den wohltätigsten Einfluss auf meine aufs äußerste geschwächte Gesundheit zur Folge, und ich gab deshalb meinen früher gefassten Plan und das mir gemachte Anerbieten, Landwirtschaft zu treiben, auf. Zwei Freunde von mir hatten nämlich 5000 Dessjatinen Kronlands ungefähr 100 Wersten von hier auf 12 Jahre gepachtet, dieselben boten mir an, 30 Dessjatinen (ungefähr 60 Acker) Ackerland, Heuschlag, soviel ich nötig hätte, und Viehweide, soviel ich wollte, unentgeltlich mir zu überlassen, wenn ich nur zu ihnen ziehen und die Ökonomie-Rechnung übernehmen wollte. Nachdem ich 10 Jahre, nämlich von 1847 bis 1857 als Schullehrer gedient, in der Kolonie Alt-Nassau aber keine passenden Räumlichkeiten zu meinen jetzigen Geschäften bekommen konnte, so fand ich mich genötigt, in der 8 Wersten von Alt-Nassau gelegenen Kolonie Durlach einzumieten, wo ich außer einem geräumigen Wohnhause Stallung, Scheune und Magazin, auch etwas Land habe, und wohne nun seit anfangs September v. J. hier in Durlach, jetzt haben wir die Pflug- und Saatzeit, 5 Acker Weizen und 2 Acker Gerste habe ich bereits bestellt, ebenso viel werde ich nach Ostern pflügen und säen lassen, zur Betreibung der Landwirtschaft habe ich einen Knecht und meinen ältesten Sohn, doch lege ich auch mit Hand ans Werk, so habe ich schon selbst gepflügt und das Meiste selbst gesät, ich möchte mir nebenbei alle Vorteile und Wissenschaft der Landwirtschaft aneignen.
Meine Familie wurde am 23. November 1858 durch einen Sohn vergrößert, der Gustav Adolph heißt und einen losen Schlingel abzugeben scheint; wenn bei mir fortgeht, wird bald kein Namen mehr im Kalender bleiben, denn ich werde alle brauchen. Wir haben dieses Jahr einen sehr gelinden Winter gehabt. Nur der Februar war kalt und rau, vor Weihnachten und bis Lichtmess haben wir mit wenig Ausnahmen keinen Frost gehabt. In der Zeitung habe ich gelesen, dass dieses Frühjahr eine nicht unbedeutende Anzahl Leute aus der Gegend von Nordhausen nach Kaukasien ziehen will, wo ein Brauer aus Nordhausen eine Strecke Landes käuflich an sich gebracht haben soll; diese Leute werden sich sehr tauschen und dem Klima bald erlegen sein; vor ungefähr 16 Jahren sind auch viele Menschen von hier dahin gezogen und nur wenige von da zurückgekommen, die meisten wurden schnell durch dort grassierende Krankheiten weggerafft. Eine neue Ausflucht für deutsche Auswanderer, vornehmlich Landwirte, wäre das vor einigen Jahren von China an Russland abgetretene, über 80.000 Quadratwersten große Amurland; hiesige Mennoniten haben im vorigen Jahre eine Deputation dahingeschickt, die Land und Klima nicht genug loben können, im nächsten Jahre werden von hier solche Mennoniten, die nicht im Besitze von Wirtschaften sind, dorthin ziehen, sie bekommen 120 Dessjatinen Land per Familie gegen ganz geringen Landzins und viele Freiheiten eingeräumt, der unumschränkte Gebieter dieses Landes, Generalgouverneur von Ost-Sibirien, General Murajow Graf Amursky (Bem. der Red.Nikolai Nikolajewitsch Murawjow-Amurski), ist den Deutschen sehr gewogen und kennt keinen anderen Wunsch, als das Land zu besiedeln, von hier aus ist es freilich noch die hübsche Strecke von über 8.000 Wersten, die fast ganz zu Lande zurückgelegt werden muss.
Dir, lieber Louis, gratuliere ich zu Deiner neuen Stellung, die Du unter Deinen Mitbürgern einnimmst und die unserer Familie nur Ehre macht; dem Bernhard werde ich zum Ehestand nur dann erst gratulieren, wenn er mir seine Verbindung selbst anzeigt; dass sich die Verhältnisse der Agnes gebessert haben, hat mich sehr gefreut, und ich ersuche Euch, lieben Brüder, sie und ihren Mann herzlich von mir zu grüßen. Da zunächst noch keine Hoffnung vorhanden ist, dass ich Euch besuchen kann, und ihr, meine beiden ältesten Brüder, Euch nicht bequemen werdet, eine Reise hierher zu machen, so wüsste ich außer dem Briefwechsel noch ein Auskunftsmittel, einander Lage und Verhältnisse gegenseitig mitzuteilen; nämlich Dein ältester Sohn, lieber Karl, wird bald in den Jahren sein, wo Du ihn auf Reisen schicken wirst, um sich in der Welt umzusehen; wie wäre es, wenn Du ihn hierher reisen ließest, damit ich ihn ein halbes Jährchen oder so was als Gast bei mir haben könnte, die Zeit wollte ich ihm schon kurz machen, und in Berdjansk, wohin ich ihn mitnehmen würde, könnte er Nationen der halben Welt sehen und so viel Kauderwelsch hören, dass er nicht klug daraus würde; russisch, griechisch, italienisch, französisch, deutsch und türkisch sind die gewöhnlichen Sprachen, außer diesen sind aber wohl noch ein Dutzend anderer, die da gesprochen werden. Im vergangenen Herbst, wo ich in Berdjansk war, erhielt ich eine Einladung vom römischen Konsul zum Mittagsessen, das Tischgespräch wurde in russischer, italienischer, französischer und zwischen mir und dem englischen Konsulats-Sekretär in deutscher Sprache geführt. Beherzige, lieber Bruder, meinen Vorschlag, und wenn Dein Sohn reisen wird, schicke ihn hier her.
Ein Seifensieder Namens Karl Preußer aus Siebenlehn in Sachsen, welcher bei Hermann Schmidt am unteren Tore gearbeitet hat, halt sich in hiesiger Gegend auf und lässt seinen ehemaligen Prinzipal vielmals grüßen.
Bald hätte ich vergessen, Euch zu melden, dass auch wir eine Eisenbahn hierher bekommen, dieselbe kommt von Petersburg nach Moskau, von da über Kursk, Charkow hierdurch nach Feodosia in der Krim, diesen Sommer soll stark daran gearbeitet werden, die Telegraphenstangen längs der Bahnlinie stehen bereits.
Nun wird es aber bald Zeit zum Schließen, zuvor, lieber Louis, muss ich Dich noch bitten, dass, wenn der Karl mir wieder schreibt, Du mir auch ein paar Zeilen einlegst, ich muss Dir's nur geradeheraus sagen, dass Du so faul im Schreiben bist; vielleicht hindern Dich auch Deine Amtsgeschäfte daran, das weiß ich nicht, da musst Du schon einen Sonntag oder Feiertag zur Hülfe nehmen.
Grüßt alle Verwandte, Freunde und Bekannte vielmals von mir, insbesondere grüßt alle seine lieben Geschwister und deren Familien Euer Euch ewig liebender Bruder
F. Huth nebst Familie
Heinrike, Schwägerin Katharina in Bröden, Seifensieder Karl Schmidt, Ollo Göbel und Gastwirt Bernhard Müller von mir zu grüßen nicht zu vergessen.
Warum schreibt mir der Robert nicht einmal? Bin ich nicht sein Bruder!!!


Brief vom 10./22. May 1861 - Durlach

Lieber Bruder Karl!
Kaum waren einige Wochen verflossen, dass ich Deinen Brief vom 6. Januar erhalten hatte, als ich wieder einen bekommen und nach flüchtiger Besichtigung der Adresse ihn von Deiner Hand geschrieben fand. Ich war nicht wenig erschrocken und glaubte, es müsste etwas außerordentliches vorgefallen sein, nach Eröffnung desselben fand sich's aber, dass er von Schwager Wagner war, der Lust hat, hierher zu kommen, ich habe ihm nun im beiliegenden Briefe die hiesigen Verhältnisse auseinandergesetzt, er soll nun selbst entscheiden, ob ziehen oder bleiben. Den Brief an Wagner schrieb ich schon am Karfreitag. Da ich aber auch gleichzeitig einige Zeilen an Dich mitschicken wollte, aber gleich nach Ostern einige Reisen unternehmen musste, die einige Wochen in Anspruch nahmen, so wurde es mir heut erst möglich, an Dich zu schreiben, und Wagners wird die Zeit lang geworden sein, sei doch so gut und mach ein Kuvert um besagten Brief und übersende ihn unverzüglich an Ort und Stelle.
Dass meine Familie wieder einen Zuwachs von einer Tochter erhalten, so meine übrigen Umstände und Verhältnisse wirst Du aus beifolgendem Briefe ersehen, ebenso dass wir einen rasend strengen Winter gehabt und ein sehr raues und kaltes Frühjahr haben, dabei sehr viel Regen, die Witterung mag hier von unberechenbaren Werte sein, in hiesiger Gegend hatten sich nämlich vorigen Sommer nach der Ernte unzählige Schwarme Heuschrecken niedergelassen und die Eier in die Erde gelegt. Die Winterkalte war nicht vermögend, die Eier zu vernichten. Aber diese nasskalte Witterung wird die Brut beim auskriechen verderben.
Wenn Wagners hierher kommen, so schick mir einen hübschen Pfeifenkopf zum Andenken mit, den Gehrhard bitte um eine Handvoll roten Kleesamen und etwas weißen Rübensamen, letzteren hat vielleicht der Louis und schicke mir mit. Hier hat man weder Stoppelrüben noch roten Klee. Ich möchte doch einmal einen Versuch machen, ob diese Gewächse hier gedeihen.
Meine Ansichten über Wagners Herziehen habe ich in dem Brief an ihn ausgedrückt, Brod findet er hier, hingegen muss er aber auch manches entbehren, was ihm die Heimat bietet, hat er dort mit Nahrungssorgen zu kämpfen, wird er wohl tun, hierher zu kommen, hat er hingegen dort ein mäßiges Auskommen, wird er ebenso gut tun, dort zu bleiben, ich meinesteils würde es gerne sehen, wenn er kommen würde, aber aus meinen Interessen kann ich ihm nicht zum Reisen raten, wenn es ihm später nicht nach Wunsche gehen sollte, würde ich nur Vorwürfe ernten.
Wenn ich wieder schreibe, werde ich auch extra an Louis schreiben, zuvor aber musst Du mich mit seinem jetzigen Titel bekanntmachen, damit ich Ihn in seiner Würde nicht beleidige. Auch dem Bernhard seine Adresse schick mir, damit ich auch einmal an ihn schreiben kann.
Nun muss ich aber schließen und Dich zuvor aber noch bitten, alle Geschwister und Schwager, den in Zeulenroda nicht zu vergessen, sowie alle Verwandte, Bekannten und gute Freunde vielmals von mir zu grüßen. Und mit dem Wunsche und der Hoffnung, dass Gott uns insgesamt gesund und wohl erhalten möchte, damit wir uns auf dieser Erde doch noch einmal wiedersehen möchten, verbleibe ich unter vielen Grüßen von mir und meiner Familie an Dich und die Deinigen Dein Dich liebender
Bruder Franz Huth


Brief von 1863 - vielleicht Januar - Durlach

Erste Seite kaum entzifferbar - Text unsicher.
Lieber Bruder Karl!
Es werden nun schon bald zwei Jahre, dass ich Deinen Brief vom 6. Dezember 1860, den ich am 31. Januar 1861 erhielt. Ungefähr 14 Tage später erhielt ich einen Brief vom Schwager Wagner, datiert den 27. März 1861. (nicht leserlich) wurde es Ostern, ehe ich an das Beantworten Eurer Briefe kam. ich fasste die Antwort zusammen in einen Brief und adressierte ihn an Wilhelm Wagner, er machte mich mit seinem Vorhaben, hierher zu ziehen, bekannt; ich freute mich schon königlich, doch eines meiner Geschwister um mich zu bekommen. (nicht leserlich) Kosten hierher zu machen, denn dadurch gebunden, bleibt selten eine Täuschung aus; (nicht leserlich) erbot ich mich, wenn er erst hier wäre, für ein Unterkommen für (nicht leserlich) und bis sie den Unterhalt; ich setzte Kartoffeln und Bohnen in ausreichender Menge für ihn aus, kaufte Roggen für zwei Familien, Weizen (nicht leserlich) (ungefähr zehn Scheffel) und mästete fünf tüchtige Schweine, alles dahin berechnet, (nicht leserlich) spät eintreffen sollte, dass an nichts mangeln sollte. Ich bat in meinem Schreiben, mich jedenfalls gleich wieder zu benachrichtigen. Da aber jede Nachricht ausblieb, so glaubte ich, Ihr würdet mir eine Überraschung bereiten wollen. Und meine liebe Schwester Agnes würde eines Tages mit ihrem Mann und Kindern unverhofft auf meinen Hof fahren; allein ich hoffte vergebens. Es kam niemand. Im Winter 61 auf 62 erwartete ich ein Schreiben, aber wieder vergebens, nun glaubte ich, Umstände hätten die Reise bis zum Sommer 1862 verzögert und wartete wieder, aber auch vergebens. Nun kann ich nicht länger warten, ich muss Nachricht haben, wie es bei Euch steht und geht, es ist nun, solange ich in Russland bin, das weitere Mal, dass ich zweimal schreiben muss, ehe ich einmal Antwort von Euch erhalte. In Deinem letzten Briefe, gabst Du, lieber Bruder, mir Dein Wort, mich nicht lange auf Antwort warten zu lassen. Und nun beinahe zwei Jahre. Ich meine, das ist mehr als lange, wie soll ich das deuten? Wenn Du mich noch nicht ganz vergessen hast, so bitte ich Dich, schreibe mir unverzüglich; von Ostern an werde ich täglich auf einen Brief von Dir spannen.
Nun auch etwas über meine Familienangelegenheiten:
Du wolltest wissen, ob mein ältester Sohn Landwirt werden würde. Ich hatte es im Sinne, gab aber seiner Neigung nach und gab ihn zu einem Tischler in die Lehre; im Herbst des nächsten Jahres hat er ausgelernt; meine älteste Tochter kommt dieses Frühjahr aus der Schule, im Ganzen habe ich acht Kinder. Das neunte steht bis Frühjahr in Aussicht. Das hiesige raue Steppenklima muss in mancher Hinsicht doch fruchtbarer sein als Euer mildes sächsisches. Im vorigen Sommer hatten wir hier eine totale Missernte. Glücklicherweise hatte ich gar nichts ausgesät, und noch glücklicher war ich, dass ich meinen Weizen von vor zwei Jahren noch habe und auch noch Futtervorrat für Pferde und Kühe für diesen Winter besitze. Auch der Roggen, der für Wagners bestimmt war, kommt mir jetzt zu Gute.
Ganzen ist jetzt hier eine schlechte Zeit, aller Handel liegt danieder. Geldmangel ist ungeheuer, in der Kriegszeit war hier alles noch viel teurer als jetzt, aber es rollte Geld in Menge und war vieles zu verdienen, Schade nur, dass ich erst nach Beendigung des Krieges meinen Schuldienst aufgab, die zwei Kriegsjahre hätte ich mit freien Händen mir ein schönes Sümmchen erwerben können.
Vergangenes Frühjahr war ich in der Krim, ich hatte nämlich mit einem guten Freunde zusammen in den hiesigen Kolonien etliche 50 Stück Milchkühe und 2 schöne Hengste gekauft, dieselben nach der Krim gebracht und in Simferopol verkauft, wobei wir ein schönes Stück Geld verdienten. Das war aber auch zu sagen mein ganzer Verdienst im vorigen Jahr und bis jetzt, und obgleich ich weder Futter noch Brot kaufen muss, so kostet meine große Familie, zu welcher sich noch mein Schwiegervater zählt, doch so viel, dass es jetzt heißt - zusetzen. Ein gute Ernte und ein bisschen Aufschwung im Handel ändere jedoch auch wieder die Zeiten. Viele Ausländer, namentlich Preußen, haben sich in hiesiger Gegend bei Edelleuten angesiedelt; durch Aufhebung der Leibeigenschaft veranlasst, vergeben viele Edelleute Land an Deutsche auf gewisse Jahre, die Dessjatina (ungefähr zwei Acker) zu 1 Rubel Silber pro Jahr, einige sogar geben noch Baumaterial zum Aufbau von Gebäuden und schießen Brot und Saat vor, dadurch ist auch Unbemittelten eine Gelegenheit geboten, sich eine Existenz zu gründen, freilich dürfen fürs Erste nicht viele solcher Missernten, wie die letzte, folgen. Sonst werden diese Leute noch das Wenige los, was sie noch haben.
Dass sich die Friederike und der Bernhard gut gebettet haben, freut mich sehr, umso mehr bedrückt es mich aber, dass der Robert ein solch lockeres Leben führt und dadurch seine Familie darben lasst und dass die Emma so unglücklich ist; wenn hier wieder bessere Zeiten eintreten, werde ich schon ihnen auch ein Scherflein (Bem. der Red.: Redewendung, die auf Martin Luthers Bibelübersetzung zurückgeht (Mk 12,42 LUT): „sein Scherflein zu etwas beitragen“) zur Linderung ihres Elends beitragen. Dass ich mich noch einer liebevollen Teilnahme alter Bekannter in der Heimat zu erfreuen habe, macht mir viel Vergnügen, und ich bitte Dich, lieber Bruder, alle diese Freunde und Bekannte, die Teilnahme bekunden, vielmals zu grüßen und ihnen zu sagen, dass sie mir durch ihre Teilnahme viel Freude machen.
Wenn Du mir wieder schreibst, soll doch der Louis ein Lebenszeichen von sich geben und einige Wörter beifügen, so viel Zeit dazu wird er wohl erübrigen können; sein liebes Röschen wird jetzt wohl schon eine stattliche Matrone geworden sein, ich würde sie vielleicht kaum mehr kennen, wenn ich sie wiedersehen würde.
Wenn Du an den Bernhard schreibst, grüße ihn und seine Frau von mir und ich lasse ihn ersuchen, dass er mir schreibt und seine Adresse schickt. Auch meinen neuen Schwager in Zeulenroda, dessen Namen ich aber noch nicht kenne, und die Friederike vergesst nicht von mir zu grüßen; insbesondere aber gib mir doch ausführlich Bericht, weshalb Wagners ihr Projekt aufgegeben. Haben sie vielleicht in der Heimat eine annehmbare Stellung gefunden, die ihnen ein Auskommen sichert, oder war es ihnen nicht möglich, die Reise hierher auf eigene Kosten zu machen? In beiden Fällen hättet Ihr mir doch aber Nachricht geben sollen. Ehe ich nun schließe, muss ich noch erwähnen, dass die Winter vor zwei Jahren und im vorigen Jahre hier sehr stark waren. Bei großer Kalte hatten wir die zwei Jahre, was hier selten ist, viel Schnee. Im vorigen Sommer hatten wir ein einziges Mal Regen, daher die Missernte an Getreide und Futter, sogar die Weide war so schlecht, dass man den Sommer über das Vieh abends füttern mussten Diesen Winter haben wir einige Tage 20 Grad Kälte gehabt und sind einige Wochen Schlitten gefahren, jetzt ist aber der Schnee wieder weg und Tauwetter.
Seit ich meinen Schuldienst aufgegeben, bin ich gesund wie ein Fisch im Wasser, ebenso die Meinigen.
Nun muss ich schließen, bitte dich aber noch, Deine liebe Frau und Kinder sowie alle meine Geschwister und deren Familien von mir und meiner Familie zu grüßen und verbleibe mit dem herzlichen- Wunsche, dass es Euch insgesamt recht wohl gehen möge. Einer recht baldigen Antwort entgegensehend Dein Dich aufrichtig liebender Bruder
Franz Huth
Lieber Schwager!
Obgleich mir nicht das Vergnügen vergönnt ist, Sie und die lieben Ihrigen noch sonst einen meiner Schwäger und Schwägerinnen in Sachsen persönlich zu kennen, noch Hoffnung vorhanden ist, uns jemals kennenzulernen, so kann ich doch nicht zugeben, dass dieser leere Raum den Weg nach Sachsen umsonst machen soll und erlaube mir deshalb, denselben auszufüllen. Da Ihnen aber mein Mann schon alles mitgeteilt hat, was Ihnen interessieren kann, so begnüge ich mich, Sie und alle unsere Verwanden daselbst von mir aus vielmals herzlich zu grüßen. Mein Mann gibt die Hoffnung, Ihnen mal einen Besuch zu machen, noch nicht ganz auf, aber da werden wohl noch Jahre vergehen, ehe er diesen Vorsatz wird ausführen können.
Mit Achtung verbleibe ich Ihre ergebenste Schwägerin
E. Huth


Brief vom 20. August 1865 - Hoffenthal

Lieber Louis!
Deinen Brief vom 26. März v. J. habe ich richtig erhalten, woran Du meines langen Schweigens wegen wohl schon gezweifelt haben wirst; der Hauptgrund, dass ich Euch so lange habe warten lassen, ist: ich hatte Euch gern meine Photographie geschickt und hoffte immer, es würde sich einmal ein Photograph hierher verlaufen; da dies aber bis jetzt nicht geschehen ist, kann ich Euch nicht langer ohne Nachricht lassen. Ihr maßt Euch noch einmal ohne mein Portrait begnügen.
Vorerst muss ich Euch nun benachrichtigen, dass wir die letzte verflossenen 3 Jahre wegen Mangel an Regen gänzliche Missernten hatten, infolgedessen die hiesigen Bewohner sehr in Rückstand, ja viele Menschen in Not geraten sind. Ein Glück war es noch, dass nördlich von hier in nicht großer Ferne das Getreide geraten und keine große Nachfrage vom Auslande her gemacht wurde, in Folge dessen die Getreidepreise fast noch niedriger als bei guten Jahren waren. Den vergangenen Winter hatten wir sehr viel Schnee und Regen, und das war wieder ein großes Glück, denn auch diesen Sommer blieb der Regen wieder aus, und die Menschen fingen schon an zu verzweifeln; allein die Winterfeuchtigkeit verbunden mit einem kühlen Frühjahre erhielten nicht nur die Saaten und bewirkten, dass wir hier nicht nur, und zwar ganz ohne Regen, eine gute Heuernte, sondern auch eine mittelmäßige Getreideernte hatten, welche dieser Tage beendigt wird. Im vorigen Jahre fraßen das wenige Gras und Getreide, was noch gewachsen, die kleinen Heuschrecken, die in unendlicher Masse hier waren, alles weg; dieses Jahr hat die Steppmaus, ein Tier, das sein Loch auf den Feldern hauptsachlich auf Heuland und Viehweide, senkrecht von drei Zoll Durchmesser hat, in der Umgegend bei Russen und Griechen alles Getreide rein abgefressen. Dieses Tier, welches 8 Zoll lang und von vom bis hinten von gleicher Dicke von ungefähr 2 1/2 bis 3 Zoll Durchmesser ist, ist in hiesiger Gegend bei trockenen Jahren, wo sie sich schrecklich vermehren, eine ungeheure Landplage. In den deutschen Bezirken hat man diesem Übel durch das Vertilgen dieser Tiere, welches im Frühjahr durch ausgießen der Löcher mit Wasser, worauf dieselben herauskommen und totgeschlagen werden, gesteuert. Die Russen und anderen Völker hiesiger Gegend hingegen hegen das Vorurteil, das sei eine Plage und Strafe Gottes, der man nicht widerstreben darf, und lassen sie trotz Anordnung der Regierung, sie zu vertilgen, dennoch laufen. Wie so oft schon müssen dieselben für ihr Vorurteil, so auch dieses Jahr, schrecklich büßen, und Ihr werdet es unglaublich finden, wenn ich Euch sage, dass ich bei meinen vielen Reisen diesen Sommer tagelang gefahren bin, ohne eine Getreideähre auf den Feldern zu finden, wohingegen in den deutschen Bezirken kein Halm abgebissen war. Vielleicht wird die Regierung jetzt strenger einschreiten und die Russen endlich auch zur besseren Einsicht gelangen.
Nun, Ihr lieben Brüder, werde ich Euch nicht langer langweilen, denn bei vorstehender Schilderung der hiesigen Zustände werdet ihr um mich und die Meinigen besorgt werden und neugierig sein, wie es mir dabei ergangen ist; um mit Wahrheit zu sagen ist es mir gottlob noch gut ergangen, im Frühjahr 1864 handelte ich mit Milchkühen nach Charkow und der Krim. Gleich als ich nach Hause kam, bekam ich Kommission auf spanische Wolle, etwas später kaufte ich Kokons; im Winter Kalbfleisch und handelte mit Kaffee, wovon ich 70 Pud absetzte, dieses Frühjahr trieb ich wieder mit Milchkühen nach Simferopol, Bachtschyssaraj und Sewastopol; jetzt bin ich aber aus den Mariupol'schen Kolonien zurückgekommen, wo ich mich drei Wochen aufhielt und dort Kokons gekauft habe. Meine Frau hat unterdessen hier in diesen Kolonien gekauft. Im vorigen Jahr habe ich mehr verdient als irgendein Jahr vorher, dieses Jahr ist der Verdienst nicht ganz so, werde aber doch so viel verdienen, als wir verbrauchen, und so kann ich mich durchaus nicht über schlechte Zeiten beklagen.
Wie schon erwähnt, war ich dieses Frühjahr in Bachtschyssaraj, der ehemaligen Residenz der Tataren Khans und habe mir daselbst das in orientalischem Stile erbaute und noch gut erhaltene Schloss besehen (seit 80 Jahren in Händen der Russen). In Sewastopol hielt ich mich eine ganze Woche auf und hatte hinreichend Muße, die Schlachtfelder sowie auch die schreckliche Zerstörung der Stadt und Festungswerke in Augenschein zu nehmen. Auf den reichlich mit Blut getränkten Malachow-Hügeln, wo jetzt üppiges Gras wuchert, habe ich des Nachts meine Kühe weiden lassen und mehrere Nächte daselbst genächtigt. Bombensplitter, ganze Bomben und Kugeln aller Größe liegen in der ganzen Umgebung Sewastopols noch in Mengen umher, ebenso Fetzen von Montierungsstücken, Feldkessel, Feldflaschen, Tornister und Tschakos. Das französische Lager zeichnet sich besonders durch eine Masse Glasscherben von zerbrochenen Weinflaschen aus, ein Zeichen, dass dort nicht schlecht gelebt wurde.
Am 15. Mai kehrte ich nach 5-wöchiger Abwesenheit aus der Krim nach Hause zurück und drei Tage vorher, am 12. Mai, war meine Frau von einem Knaben entbunden worden. Wir haben ihm den Namen Ferdinand geben lassen. Wir haben jetzt 4 Söhne und 6 Töchter und ist soweit alles gesund, nur der Kleine, als er 8 Tage alt war, bekam mit noch 3en meiner Kinder den Keuchhusten, der aber jetzt schon am verlöschen ist. Mein ältester Sohn hat ausgelernt, war aber den Winter infolge der schlechten Zeit wegen Mangel an Arbeit zuhause, nächstes Jahr soll er nach Deutschland reisen, meine 2te Tochter wurde dieses Frühjahr konfirmiert. Wenn ich nicht irre, bist sowohl Du, lieber Louis, als auch der Bruder Karl im Besitze eines Gartens, ich übermache Euch inliegend etwas Maulbeersamen, den Ihr diesen Herbst noch säen könnt, in einigen Jahren, könnt Ihr Maulbeerbäumchen haben, und ich werde Euch dann, wenn wir noch am Leben sind, etwas Seideneier schicken. Dann könnt Ihr Versuche mit Seidenbau machen. Von Euch hingegen erbitte ich mir einige Körner Samen von Marferum (?) und von "Rühr mich nicht an", wenn solches nämlich Samen treibt. Beide Topfpflanzen hat man hier nicht.
Im Oktober v. J. erhielt ich auch wieder einen Brief von Bernhard nebst Photographie, das ich nun auch erst mit dem Deinigen beantworte.
Jetzt glaube ich alles von Bedeutung Euch mitgeteilt zu haben und wünsche nur noch, dass Ihr Euch insgesamt recht wohl befindet und gesund seid und bitte Euch, mir recht bald wieder zu schreiben.
Unter vielen herzlichen Grüßen an Euch alle von mir und den Meinigen verbleibe ich Euer Euch liebender Bruder und Schwager
Franz Huth
Ns. (Bem. der Red.: Nachsatz oder Nachschrift) Ich weiß nicht, ob ich Euch in meinem letzten Briefe in Kenntnis gesetzt habe, dass ich meinen Wohnsitz in Durlach mit einem zum Handel besser geeigneten in der Kolonie Hoffenthal vertauscht habe. Meine Adresse bleibt dieselbe; nur statt Durlach ist Hoffenthal zu schreiben. v. Obigem
Seit 14 Tagen haben wir eine Hitze im Schatten bis zu 30, in der Sonne bis 40 Grad.


Brief vom 17.? 1871 - Hoffenthal (Brief muss aus dem frühen Frühjahr stammen)

Vielgeliebter Bruder!
Mit tiefen Bedauern habe ich und meine Familie Dein herbes Schicksal aus deinem von 25. September v. J. datierten Briefe vernommen und ist dasselbe wohl auch der Grund, dass ich so lange ohne Nachricht von Euch blieb. Schon lange - und hauptsächlich seit Oktober (?) quält mich meine Frau, Euch zu schreiben. Da ich aber entschlossen war, Euch durch mein persönliches Erscheinen zu überraschen, so unterließ ich es. Ich hatte nämlich fest bestimmt, im Herbst 1869 hin auszureisen, musste aber zuvor nach den Mariupollschen Kolonien fahren, um einige Ausstände, die nicht sicher standen, und der Zahlungstermin um war, einzukassieren. Der eine Posten von 200 Rubel Silber ging mir durch Fallissement zur Hallte verloren und den anderen Posten von 900 Rubel nicht ganz zu verspielen, musste ich gerichtlich einschreiten. Dies zog sich bis in Winter hinein, ehe ich mein Geld bekam, und die Reisezeit war vorüber. Nun wurde beschlossen, zum Herbst 70 zu reisen. Unterdes brach der Krieg aus, und aus Furcht vor Aufenthalt und Scherereien auf der Reise blieb ich wieder zuhause. Gott weiß, was der nächste Herbst bringt.
Ein Unwetter in der Pontusfrage hängt wieder in der Luft, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wenn ich leb' und gesund bleib', besuche ich Euch so bald als möglich, die Mittel erlauben mir dies jetzt, denn obgleich mir der Haushalt und Familie jährlich wenigstens 1000 Rubel Silber kostet, so habe ich diese Jahre her mit meinem Kokonhandel so viel verdient, dass ich mir ein nettes Sümmchen zurücklegen konnte. Auch habe ich mir diesen Winter hier ein geräumiges Wohnhaus mit Stallung mit Remise für 1200 Rubel Silber gekauft; gesund sind wir insgesamt ebenfalls gewesen, und ich müsste freveln, wenn ich klagen wollte.
Mein ältester Sohn Robert, 24 Jahre, 8 Monate, ist noch ledig, Emilie, 22 Jahre, 6 Monate, hat sich vorigen Herbst an einen hiesigen Kolonist, Mühlenbesitzer Johann Nürnberg verheiratet, Albina, 20 Jahre, 8 Monate, ist noch zuhause, Otto, 18 Jahre, 5 Monate, geht in die Kreisschule zu Melitopol, 50 Wersten von hier. Die übrigen habe ich alle zuhause, als: Emma, 16 Jahre, 2 Monate, Bertha, 14 Jahre, Adolph, 12 Jahre, 3 Monate, Mathilde, 10 Jahre, Karolina, 7 Jahre, 9 Monate, Ferdinand, 5 Jahre, 9 Monate, und endlich Amalie: 2 Jahre, 7 Monate. Summa Summarum 4 Knaben und 7 Mädchen.
Wir haben diesen Winter ein tolles Wetter gehabt, den ganzen Vorwinter bis gegen Ende Januar hatten wir abwechselnd einen Tag Regen, den anderen Tag 10-12 Grad Kalte, mehrmals in einem Tag solchen Wechsel. Dann trat bei 10 bis 14 Grad Kälte beständiges Wetter ein. Ich trat damals zu Wagen, Schnee hatten wir keinen, eine Geschäftsreise ins Gouvernement Cherson an und kam 130 Werst von hier bis an den Dnjepr-Fluss, als Schneesturm eintrat, ein Ereignis, wovon Ihr Euch keinen Begriff machen könnt, der Schnee, so fein wie Nebel, fällt so dicht, dass die ganze Luft verfinstert ist und wird vom Sturm auf der Erde fortgejagt, bis er wieder Halt findet, wo er sich zu ungeheuren Massen auftürmt. Dies geschah Sonntag, den 24. Januar a. St., montags war das Wetter ruhig.
Allein vorwärts zu fahren, wäre ein Wagnis gewesen, und so kehrte ich um und fuhr den Tag bis zu einem befreundeten deutschen Gutsbesitzer, wo ich nächtigte. Dienstagsmorgen, als ich wieder abfahren wollte, fing es aufs Neue wieder an zu stürmen, so nennt man hier nämlich den Schneesturm, und ich gab den Mahnungen meines Gastfreundes willig Gehör und blieb, und das war für mich und für meinen ältesten Sohn, den ich bei mir hatte, und für meine Pferde Rettung vor sicherem Tode. Denn das Unwetter hielt bei 26 bis 30 Grad Kälte mit unerhörter Heftigkeit drei mal 24 Stunden an. Wer sich auf freier Steppe befand und nicht durch ein Wunder gerettet wurde, kam um; durch obrigkeitliche Verordnung müssen überall, Tag und Nacht, während solchen Unwetters die Glocken gelautet werden, dadurch rettete sich auch diesmal mancher, aber sehr viele Menschen und Pferde fanden ihren Tod. Viele Vermisste werden noch aufgefunden werden, wenn erst der Schnee ganz fort sein wird. Wir haben wohl schon seit 8 Tagen abwechselnd Tauwetter gehabt, aber der Schnee ist noch lange nicht aller geschmolzen.
Nun, lieber Bruder, muss ich auf Dein Unglück zurückkommen. Als ich Deinen schwarz gesiegelten Brief erhielt, traten mir die Tränen in die Augen und konnte ich mich nicht sogleich entschließen, ihn zu brechen, denn ich glaubte sicher, einer von Deinen oder dem Louis sein Sohn wäre im Felde geblieben, denn kein Tag ist seit Ausbruch des Krieges verflossen, wo wir hier nicht davon gesprochen und uns Auskunft gewünscht hätten, ob Eure Söhne mit im Felde seien. Und bei jeder Schlachten- und Siegesnachricht fürchteten wir, unter den Gefallenen könnte einer der lieben Eurigen sein. Stattdessen vernahm ich nun, dass Dir der Tod Deine liebe Frau entrissen hat. Ich habe mich die Jahre her schon innig gefreut und mir im Geiste die unverhoffte Überraschung meines Besuches vorgestellt, nun treffe ich Deine liebe Frau schon nicht mehr an. Möchte Euch Übrige nur Gott behüten und gesund erhalten. Und Du, lieber Bruder, darfst Dich überhaupt dem Gramm nicht so ganz ergeben, damit änderst Du nichts, auch würde es wohl sehr ratsam sein, wenn Du Deine Augen schonen könntest, ich denke, Deine materiellen Umstände erlaubten Dir, Deine augenanstrengende Arbeit aufzugeben, von Arbeiten allein wird man nicht reich. Ich habe früher viel gearbeitet und nichts erübrigen können, seit Jahren arbeite ich nicht mehr und stehe mich gut dabei.
Dass es meinen übrigen Geschwistern so weit gut geht, hat mich sehr gefreut, nur von Robert schreibst Du mir nichts. Auch von der Emma ihren Kindern gib mir doch Auskunft, wenn Du wieder schreibst. Die müssen doch auch schon bald groß sein?
Wie kam es, dass Dein ältester Sohn und dem Louis seiner nicht zum Krieg einberufen wurden? Die deutschen Siege haben unter der hiesigen deutschen Bevölkerung großen Enthusiasmus hervorgerufen, leider wurde durch obrigkeitliche Verordnung den Kolonisten verboten, Kollekten zu veranstalten, was mich aber nicht abhalten ließ, unter den hier lebenden Ausländern/Deutschen zu kollektieren, ich stellte mich mit 25 Rubeln, mein ältester Sohn mit 10 Rubeln, an die Spitze. Und das Ergebnis betrug 150 Rubel. Auf meine Veranlassung kamen auch in dem benachbarten Halbstadt durch Ausländer 150 Rubel zusammen, welches ich vor Weihnachten an das General-Konsulat nach Odessa zur Übermittlung an das Berliner Centralcomitee für verwundete Soldaten und der Witwen und Waisen der im Krieg Gefallenen übersandte.
Wie ist bei Euch jetzt das Militär-Reglement in Friedenszeiten, findet einjähriger freiwilliger Dienst statt und unter welchen Bedingungen? Um meinen Kindern das Heimatsrecht zu erhalten, habe ich Lust, außer den Ältesten die drei Jüngeren zur Ableistung ihrer Militärpflicht nach Deutschland zu schicken, mein zweiter Sohn Otto ist jetzt 18 1/2 Jahre. Wann kann der seine Dienstzeit wohl antreten?
Zwei Wersten von hier in Halbstadt waren zwei Fabrikmeister aus Crimschau, Webermeister Förster und Spinnmeister Zäumer, die waren draußen engagiert, eine Tuchfabrik hier einzurichten, waren zwei Jahre hier und reisten vorigen Jahres wieder nach Hause. Sie versprachen, Euch gelegentlich zu besuchen. Sollte Dich oder den Louis einmal der Weg dort hinführen, so besucht sie, sie würden sich sehr freuen. Mich haben sie sehr oft besucht. Die Adresse von Bernhard werde ich benutzen und ihm demnächst schreiben.
Sind in dieser Zeit, dass ich keine Briefe erhalten, auch Verwandte gestorben? Leben die Heinerke noch alle und was machen wohl den Onkel in Roßla seine Söhne? Wenn Du mir wieder schreibst, was hoffentlich recht bald geschehen wird, schreibe mir doch recht viel von unseren Verwandten und meine ehemaligen Bekannten. Grüße mir auch alle, die mir nahestanden, meinen Meister Gehrhard nicht zu vergessen. Ich freue mich unendlich, die Aussicht zu haben, bald die liebe Heimat wiederzusehen, freilich wird mir alles fremd vorkommen und selbst meine alten Bekannten werde ich nicht wiedererkennen. Wenn ich komme, werde ich die Photographien von meiner ganzen Familie mitbringen. Da ein naher Friede in Aussicht steht, so wird, bis Du mir wieder schreibst, auch Dein Sohn aus Paris zurück sein. Und dann schreib mir von seinen Erlebnissen, Heldentaten auszuüben wird ihm gottlob nicht mehr Gelegenheit geboten worden sein.
Ich muss nun schließen und wünsche nur, dass Du nach so schweren Prüfungen noch lange Jahre in Ruhe und Frieden leben möchtest, grüße Deine ganze Familie sowie alle meine Geschwister und deren Familien recht vielmals von mir, meiner Frau und Kindern und lass mich in Deinem nächsten Briefe doch recht viel Erfreuliches hören, dies wünscht Dein Dich liebender Bruder
Franz Huth


Brief vom 26. Dezember a. St 1872 - Hoffenthal

Erste Seite fast gar nicht leserlich
Vielgeliebte Geschwister!
Wenn ich Euch von meinem Befinden nicht länger in Ungewissheit lassen will, muss ich nochmals die Feder ergreifen und Euch brieflich Nachricht von mir geben, denn (unleserliche Worte) Euch einen Besuch abzustatten. (weitere unleserliche Passage), dass 10. August in Prischib ist nur getrennt durch die Amtsverwaltung, denn jede Kolonie hat ihren ()
Ein leichter Luftzug aus Nordost trieb das Feuer gerade auf Hoffenthal zu. () halben Stunde stand der siebente Teil von Prischib in Flammen (). An Rettung war nicht zu denken. () nur übermenschliche Anstrengungen () diese letzten Hauser nach Hoffenthal () von Handwerkern bewohnt sind () nicht ganz Hoffenthal mit abbrannte.
Zwei Tage später, ebenfalls 9 Uhr abends, brach in Neu-Monthal, 12 Wersten von hier, Feuer aus und brannte damals die halbe Kolonie und 10 Tage später die übrige Hälfte ab. Nach dem ersten Neu-Monthaler Brand beeilte ich mich, meine Kokons nach Berdjansk abzuliefern und fuhr Tag und Nacht, um nur bald wieder zu Hause zu sein. Am 18. August kehrte ich zurück; abends neun Uhr, als ich mich ermüdet vom Fahren Schlafenlegen wollte, standen meines Nachbars Getreideschöber und gleich darauf dessen Gebäude in Flammen. Ich bewohnte nämlich damals noch das Haus, welches ich seit Jahren in Pacht hatte. Ich hatte beim Kontorschließen meines gekauften Hauses meinem Verkäufer gestattet, noch bis zum 1. August in demselben zu wohnen. Da dessen neues Haus bis dahin noch nicht ganz fertig war, hatte ich ihm noch einen Monat Frist gegeben. Mein Heu und Stroh hatte ich schon auf meinen Hof fahren lassen, und so verbrannten mir nur der Schweinestall und Kirbitsch (in Ziegelform getrockneter Mist zum Brennen). Das Wohnhaus und Stall wurden dank gänzlicher Windstille und vieler und schneller Hilfe gerettet; aber dennoch hatte ich mit dem Schaden, den ich durch Ausräumen erlitt, wo mir in der Eile viel an Möbel und Geschirr zerschlagen wurde, über 100 Rubel Schaden. Vier Tage später brach bei dem einen Nachbar meines gekauften Hauses morgens gegen Tagesanbruch wieder Feuer auf dessen Dreschdiele aus, und in Zeit von zwei Stunden standen auf drei Höfen nur noch meine Gebäude. Meine beiden Nachbarn verloren alles, ich nur Heu, Stroh und einen Teil meiner Umzäunung; von nun an verging fast kein Tag, wo es nicht in der einen oder der anderen Kolonie brannte. An einem Tage brannte es sogar in fünf Kolonien, wo Friedrichsfeld, eine Kolonie von wenigstens 100 Häuser, ganz abbrannte. Das Feueranlegen schien zur Manie geworden zu sein, und trotz aller aufgestellten Wachen bei Tag und Nacht, zu Fuß und zu reiten, und trotz dabei jeder Hausbesitzer außerdem die ganze Nacht auf seinem Hofe wachen musste, wurde nur ein Russenknecht beim Anlegen erwischt. Die Hälfte der Brände mögen auch wohl durch Leichtsinn, durch verlorene Schwefelhölzer und dgl. entstanden sein, denn bei der außergewöhnlichen Dürre und dem vielen Brennstoff bedurfte es wenig, einen solchen Brand entstehen zu lassen. Wir verlebten damals eine schreckliche Zeit, und die Pariser konnten zur Zeit der Kommuneherrschaft nicht mehr Angst ausgestanden haben als wir. Kleider, Wäsche und den Tag über die Betten waren in Bündel gepackt, die Wagen standen immer bereit vor der Tür, und die Pferde im Stall blieben aufgeschirrt, um gleich Reißaus zu nehmen.
Die Bauern hatten in der Ernte 4 bis 5 Rubel und beim Dreschen bis 2 Rubel Tagelohn zu zahlen. Jetzt mussten sie Tag und Nacht wachen. Dann musste die nächste Mannschaft zu den Spritzen und Wasserwagen mit aufgeschirrten Pferden bereitstehen. Unter allen diesen Umständen bemächtigte sich den hiesigen Deutschen eine Mutlosigkeit, die ich noch niemals sonst wahrgenommen habe. Der Brandschaden ist nicht zu berechnen. Für etwa eine halbe Million war versichert, da aber die Kolonien die Assekuranz unter sich haben, so wurden die nicht Abgebrannten durch Zahlung nicht unwesentlich geschädigt, die Hälfte der reichen Ernte verbrannte, die andere Hälfte ging zur Deckung des Schadens drauf. Dass mein Reiseplan nun wieder auf ein Jahr hinausgeschoben wurde, wird Euch nicht wundern; allein diesen Sommer schon brach in benachbarten Russendörfern die Cholera aus und grassierte bis spät in den Herbst hinein, wo sie unter den Russen erschrecklich aufgeräumt. So starben eine Meile von hier in Groß-Tockmak über 800 Personen, in Groß-Bilisivo sogar über 2000 Personen. In den Kolonien trat sie nur vereinzelt auf und starben im Ganzen gegen 30 Personen, wovon auf Prischib allein 10 Personen kommen. Unter diesen Umständen konnte ich mich wieder nicht entschließen, mich von meiner Familie zu trennen, aber Krieg, Feuer und Cholera werden doch nicht immer existieren, und so wollen wir hoffen, dass der nächste Herbst nicht ein neues Unglück bringt. Seit einigen Sommern existiert hier unter den Schweinen eine Art Pest, woran ich diesen Herbst auch 4 Stück verlor. Gegenwärtig ist hier weit und breit die Rinderpest, und zwar so heftig, dass nur ein bis drei Prozent durchmachen, mehr als Dreiviertel des Rindviehs ist auch in Hoffenthal schon gefallen. Bei mir und in noch acht Ställen ist das Vieh noch gesund, wird aber wohl auch nicht verschont bleiben.
Ich und meine Familie sind diese Jahre her recht gesund gewesen, aber mein Hauptgeschäft, der Kokonhandel, ging die letzten zwei Jahre schlecht; die Seidenwürmer sind nicht gediehen. Ich musste deshalb viel zusetzen. Die Ausgaben überstiegen weit die Einnahme. Dazu habe ich noch gegen 800 Rubel verbaut. Ich habe eine Wagenremise angebaut, neu gedeckt und feuerfeste, gemauerte Giebel machen lassen. Von außen ist mein Haus ganz gegen Feuer gesichert. Deshalb habe ich mich auch aus der Assekuranz streichen lassen.
Um nicht zurückzukommen, wenn der Kokonhandel nicht geht, so habe ich mir außer meinem Handel mit Kaffee, Zucker, Licht, Seife und dgl. noch einen Weinhandel angelegt und diesen Herbst bereits 10 Fass Wein gekauft. Ich habe in meinem Hause einen ausgezeichnet guten Weinkeller.
Im Frühjahr erhielt ich einen Brief von der Agnes. Da ich nun bis zum Herbst reisen wollte, habe ich ihr ihn gar nicht beantwortet. Wenn ihr Gelegenheit habt, setzt sie davon in Kenntnis. Wenn ich komme, bringe ich meinen Sohn Otto mit, derselbe ist militärpflichtig und soll, um sein Heimatsrecht zu erlangen, dienen. Mein ältester Sohn Robert ist hier verheiratet. Auch ich werde draußen Schwierigkeiten bekommen. Nach den deutschen Reichsgesetzen hat derjenige, der länger als 10 Jahre im Auslande verlebt, ohne Nationalpass gewechselt zu haben, sein Heimatsrecht verloren.
Im Frühjahr, wenn der Dnjepr wieder eisfrei ist, werde ich nach Odessa fahren und mit dem Generalkonsul darüber sprechen. Sollte wohl nicht wer von Euch nach Wien zur Ausstellung kommen? Von Wien nach Odessa und von da auf dem Dnjepr bis Nivopol ist es nicht weit. Von Nivopol hierher sind nur 100 Wersten; wenn ich von Odessa aus telegraphisch benachrichtigt würde, käme ich mit meinem Fuhrwerk dorthin abzuholen. Meine telegraphische Adresse ist: Melitopol, Estafette Halbstadt, Franz Huth in Hoffenthal. Neuigkeiten weiß ich Euch sonst nicht weiter zu schreiben. Ich bitte Euch nur, mir recht bald und recht viel Erfreuliches von Euch zu schreiben' und schließe unter vielen herzlichen Grüßen an Euch und Eure lieben Familien von mir, meiner Frau und sämtlichen Kindern und verbleibe Euer Euch stets liebender
Franz Huth


Brief vom 24. Juli 1876 (?) - Hoffenthal

Lieber Bruder Louis!
Deinen Brief vorn 13. März d.J. nebst Taufschein und Photographie habe ich richtig erhalten und ich danke Dir herzlich für Deine Mühe; ich habe auch bereits die Matrikelscheine für mich und meine Familie erhalten, aber gleichzeitig damit setzte mich der Konsul in Kenntnis, dass ich vom 1. Oktober 1875 an, mit einer Klassensteuer von 6 Mark jährlich belastet worden sei und den Steuerbetrag an die Steuereinnahme in Saalfeld einzusenden habe. Unter den Tausenden deutschen Reichsangehörigen, die in hiesiger Gegend leben bin ich vielleicht der Einzige, der noch der Heimat Steuer zahlen muss, ich habe hier Krons- und örtliche Abgaben gegen 100 Rubel Silber zu bezahlen und werde auch die verlangten 6 Mark bezahlen, wenn es das Gesetz verlangt; ich bitte Dich daher, lieber Bruder, Dich wo gehörig zu erkundigen, ob jeder im Ausland lebende Meininger einer Steuer in der Heimat unterworfen ist und wenn dies der Fall sein sollte, so bitte ich Dich, die 6 Mark für mich zu entrichten und mich zu benachrichtigen, ob bei Euch russische Kreditbillette von 10 oder 25 Rubel gangbar sind und zu welchem Kurse, ich würde Dir dann schicken, dass Du für mich auf mehrere Jahre vorausbezahlen könntest. Wenn Papiergeld nicht gangbar ist, bitte ich Dich mich zu benachrichtigen, was für ausländische Münzsorten gehen, am ersten würden hier noch halbimperiale oder 20-Frank-Stücke aufzutreiben sein, freilich beides auch rare Artikel, denn seit dem Krimkrieg hat man hier nur Papiergeld. Ich danke Dir auch für die mir übersanden 4 Photographien, und ich werde Dir jetzt nach und nach auch welche schicken, beifolgt einstweilen mein 2ter Sohn, er war vorigen Sommer in Geschäften in Simferopol und hat sich daselbst abnehmen lassen, hier sind auch zwei Photographen, wo sich meine Töchter haben abnehmen lassen, ich wollte Dir auch von diesen Photographien mitschicken, da wurde aber mit Händen und Füßen gewehrt, die hiesige Arbeit ist aber auch schauderhaft schlecht. Indes wird aber wohl rat werden, dass sie sich anderswo abnehmen lassen können. Gesund sind wir noch alle, die Geschäfte liegen aber noch gänzlich danieder, dazu haben wir wieder eine ganz schlechte Ernte, Weizen gib 3fällig, Roggen 4 bis 5, Gerste 6fällig; wir haben aber auch vom Frühjahr an keinen gehörigen Regen gehabt, nur einige Mal hat es den Staub gelöscht, überhaupt haben wir ein kurioses Wetter gehabt, im April hatten wir bis 30 Grad Hitze im Schatten, der Mai kühl, vom 9. auf den 10. Mai Schnee und 3 Grad Kälte, 20 Wersten von hier sogar 5 Grad, so dass alle Gartengewächse und sogar die Blätter von allen Bäumen abfroren, der Juni und Juli waren wieder heiß, wir haben schon lange Zeit bis jetzt täglich 30 Grad im Schatten, da hier die Tage im Sommer viel länger sind als bei Euch, so kühlt es sich auch des Nachts nicht ab. Sonst weiß ich Dir jetzt nichts zu schreiben, ich hoffe, dass Ihr noch alle gesund seid und wünschte nur, dass wer von Euch einmal hier her käme und unser Paradies in Augenschein nehmen möchte, jetzt wäre ein Feigenblatt zur Bedeckung hinreichend, im Winter freilich tun manchmal zwei Pelze übereinander genommen nicht genug.
Anbei übersende ich Dir das Schreiben des Konsuls bezüglich der Steuerzahlung und bitte Dich nochmals, recht bald Erkundigung einzuziehen, ob ich Steuerpflichtig bin oder nicht. Ich schließe nun, grüße Dich, Deine liebe Frau, den Bruder Karl und alle Geschwister und deren Familie von mir und den Meinigen vielmals und zeichne einer baldigen Antwort entgegensehend als Dein Dich liebender Bruder
Franz Huth


Brief vom 6. November a. St. 1876 (?) - Hoffenthal

Lieber Bruder Louis
Deinen Brief vom 13. März nebst Taufschein und Photographie habe ich richtig erhalten und denselben unterm 24. Juli mit Beisendung einer Photographie meines Sohnes Otto beantwortet. Ich benachrichtigte Dich in diesem Briefe, dass mir durch das Konsulat eröffnet wurde, dass ich dort mit 6 Mark jährlicher Klassensteuer belastet worden sei und bat Dich, Erkundigungen einzuziehen, ob jeder im Ausland lebender Meininger dieser Steuer unterworfen sei (denn keiner der vielen hier lebenden Ausländer anderer deutschen Länder zahlt Steuer dorthin) und bat Dich im Falle, dass das dortige Landesgesetz es erheische, die treffenden 6 Mark für das Jahr 1876 für mich auszulegen und mich zu benachrichtigen,ob dort russisches Papiergeld angenommen wird, um Dir Deine Auslagen zurück zu ersetzen. Da ich aber bis dato keine Nachricht von Dir erhalten und mir dieser Tage, als ich in Berdjansk war, vom Konsul eröffnet wurde, dass die Meining'sche Staatsregierung sich die Hilfe des Konsulats zur Erlangung dieser 6 Mark erbeten habe, muss ich annehmen, dass Du meinen Brief vom 24. Juli dieses Jahres gar nicht erhalten hast ich habe mich nun hier erkundigt und erfahren, dass man dort russisches Papiergeld, wenigstens in den größeren deutschen Städten annimmt, und so übersende ich Dir hier 5 Rubel und bitte Dich, damit die besagte Steuer für dieses und das nächste Jahr für mich zu bezahlen und mir recht bald darüber Nachricht geben zu wollen.
Gesund sind wir noch alle, aber auch Geschäftslosigkeit und Geldmangel ist hier noch beim alten; vielleicht ändert sich's, wenn die orientalischen Wirren einmal beseitigt sein werden. Wie es scheint, wird der Tag bald losgehen. Wie geht es bei Euch? Ist der Bruder Karl noch gesund? Er soll mir doch auch wieder einmal schreiben. Den nächsten Brief werde ich an ihn adressieren; auch an Bernhard werde ich in Kürze einmal schreiben. Ich habe, solange er in Breslau ist, unverzeihlicher Weise noch nicht an ihn geschrieben.
Schreibt mir nur bald und recht viel Neues, grüßt alle meine Geschwister und deren Angehörigen, sowie alle Freunde und Bekannten von mir und den Meinigen vielmals und unter besonders herzlichen Grüßen an Dich, Deine Frau und den Bruder Karl verbleibe ich Euer Euch liebender Bruder
Franz Huth
Schreibe mir doch, ob Du meinen Brief vorn 24. Juli erhalten hast oder nicht, besorge doch auch recht bald die 12 Mark Steuer an das Steueramt.
Der Obige


Quittungen

(Abschrift 1)
über sechs Mark, - Pf. Classensteuern auf die Zeit vom 1. Oktober 1875 bis 30. September 1876, welche durch Herrn Franz Huth in Hoffenthal in Südrußland anher berichtigt worden sind.
Pößneck, den 30. Oktober 1876
Herzogt. Steuer u. Sportel-Einnahme das.
gez. Müller
Nr. 1662 des Journ.
(Abschrift 2)
über sechs Mark, - Pf. Classensteuer nach Saalfeld (?)
12 Termine ä 50 Pf. per 1. Oktober, 1. November & 1. Dezember 1876 sowie 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, L Juni, 1. Juli, 1.August & 1. September 1877, welche durch Herrn Franz Huth in Hoffenthal in Südrußland anher berichtigt worden sind.
Pößneck, den 26. Aug. 1877
Herzogl. Untere Einnahme das.
gez. Müller
Nr. 1060 des Journ. (Stempel)