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Brief von Franz' Bruder Bernhard Huth aus Jauer vom 25. Mai 1856 an Franz Huth

Lieber Bruder!
Nachdem ich Dein Schreiben vom 12. Januar nebst mein Wanderbuch erhalten habe, traf ich sogleich die nötigen Vorkehrungen, ich mir ein Schreiben an die russische Gesandtschaft machen, erfuhr jedoch abermals, dass ich blos durch Ausfertigung dass russische Visa erhalten könnte. Ich hatte auch dann die Sache fortgesetzt, wenn nicht der Zufall es anders leitete; welches ich Dir jetzt mittheilen will.
Am neunten Februar hatten wir nämlich einen Ball, wo ich allein mich nicht gut ausschließen konnte, ich lud dazu mir eine Dame hiesigen Ortes ein, die ich kurze Zeit vorher kennengelernt hatte. Durch nähere Bekanntschaft deren Eltern wurde mir abgeredet, die Reise nach Russland nicht zu unternehmen, da ich eine Existenz hier gründen könnte, ich entschloss mich aber nicht sogleich, sondern wartete noch einige Zeit bis heutigen Tag, da ich aber durch vieles bitten der Tochter, und die Zufriedenheit der Eltern mich bewegen ließ, so benachrichtige ich Dir also hiermit die Reise aufzuschieben.
Die Eltern sind schon bejahrt, der Vater 63 Jahr, die Mutter etwas jünger, Kinder sind bios zwei vorhanden, wovon die ältere Tochter schon an einen Gerbermeister verheiratet ist. Die jüngere jedoch erst 17 Jahre alt ist und ich jedenfalls ein bis zwei Jahre warten muss. Dass am Wasser gelegene Haus nebst Garten erhält die jüngere Tochter mit Namen Anna Brauer, wenn auch das Vermögen sonst nicht groß ist, so erhalt doch jede außer dem Hause noch etliche hundert Thaler; nur der Anfang zur Gerberei ist hier nicht so schwierig als bei uns zu Hause, dass Meister werden kostet beim Mittel 10 rC (?Rechnungsgulden?). Nur dass Bürgen am Anfang kostet 12 rC (?Rechnungsgulden?). um das Fortkommen würde es Sorgen tragen.
Lieber Bruder nun sei gut und sage mir Deine Meinung, schreibe mir recht bald, denn Fräulein Anna hat mich schon längst dringend gebeten, dass ich Euch möchte in Erkenntnis setzen unseres Verhältnisses, damit ich in Wahrheit bestehe, wenn ich Dein nächstes Schreiben ihr vorlege.
Am 6. Mai hatten wir Hochzeit bei unserem jungen Meister. Derselbe trat die Lehre an als ich das erste Mal hier arbeitete. Wir sind jetzt 7 Gesellen, wovon ich der älteste bin, die Arbeit geht sehr forsch, aber der Verdienst für uns ist flau, doch haben wir gute Kost, die bei jetziger Zeit großen Wert hat, einer fruchtbaren Ernte sehen wir entgegen, dass Getreide und Obst in vollster Pracht, der April war bei uns schön warm und fruchtbar, der Mai jedoch regnerisch und kalt.
Grüße alle Geschwister und Bekannte.
Um baldige Antwort bittet Dein Bruder
Bernhard Huth